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Wer hat Angst vor Jasper Jones?

Wer hat Angst vor Jasper Jones?

Titel: Wer hat Angst vor Jasper Jones? Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Craig Silvey
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meinem Vater zum Vorwurf machte, mich nicht gehört zu haben, doch im Großen und Ganzen schien es für sie einfach eine günstige Gelegenheit zu sein, sich zu rächen und ein paar Hiebe auszuteilen. Ich war verstört von dieser Szene und schockiert über die Ungerechtigkeit. Ich fühlte mich entsetzlich schuldig und bedauerte meinen Vater, weil ich wusste, dass ich ihm das alles eingebrockt hatte. In Wirklichkeit war alles meine Schuld. Ich wollte mich einmischen, sie anschreien und ihr sagen, dass sie sich irrte, doch insgeheim war ich auch froh darüber, dass nicht ich es war, der hier auf die Hörner genommen wurde.
    Außerdem schien es meinem Vater nichts auszumachen. Er lehnte ungerührt am Türrahmen, setzte ihr nichts entgegen und nahm alles hin. Er betrachtete sie mit dem gleichen Ausdruck von milder Neugierde und Enttäuschung, mit dem er auch mich draußen in Empfang genommen hatte.
    Ich dagegen wollte, dass er eingriff. Dass er ihr mit durchdringendem Blick entgegentrat und klar und deutlich Stellung bezog. Er sollte ihr sagen, dass sie keine Ahnung hatte, wovon sie sprach. Sich darüber empören, dass sie sein Herz und seine Loyalität in Frage stellte. Doch das tat er nicht. Er nahm alles hin und gestattete ihr, all diese schrecklichen Dinge zu sagen. Wieder fragte ich mich, ob er jemals für das einstehen würde, was er für richtig hielt.
    Am Ende war meine Mutter regelrecht hysterisch. Außer Kontrolle. Sie fing an, Corrigan die Schuld an allem zu geben. Der Ort schade ihrer Familie. Er sei nicht mehr sicher. Wir müssten hier weg und woanders neu anfangen. In diesem Moment fiel bei mir der Groschen, und ich begriff, was sie tat.
    Vielleicht verstand mein Vater es auch. Er stieß sich vom Türrahmen ab und richtete sich auf. Er war unglaublich ruhig.
    «Ruth, es gibt Dinge auf der Welt, von denen du glaubst, ich wüsste sie nicht, doch da irrst du dich. Ich glaube, du gehst jetzt besser ins Bett. Und du auch, Charlie.»
    «Fang jetzt bloß nicht an, ihm zu sagen, was er zu tun hat! Und mir auch nicht!»
    Mein Vater seufzte nur und schloss die Augen. Dann sah er zu mir herab.
    «Das alles war nicht für deine Ohren bestimmt, Charlie. Aber wir unterhalten uns später, du und ich. Ich bin sehr böse auf dich.»
    «Oh, ihr unterhaltet euch später!» Meine Mutter schwankte unsicher. Ich fragte mich, ob sie wohl ebenso viel intus hatte wie ich. «Du willst hinter meinem Rücken über mich reden und mir die Schuld an allem geben! Ich
weiß
, was du ihm erzählst.»
    Dann schrie sie laut auf vor Frust. Ihr Schlusswort. Sie stürmte ins Schlafzimmer und knallte die Tür hinter sich zu.
    «Geh ins Bett», sagte mein Vater nur.
    Ich nickte und ging. Er sah traurig und müde aus. Ich seufzte. Jetzt war alles im Eimer.

    Es waren zwei merkwürdige Wochen im Fegefeuer. Ich suchte die Zeitungen nach Neuigkeiten über Laura ab, doch die Beiträge wurden immer schmaler und kleiner und verschwanden schließlich ganz. Andere schreckliche Dinge fielen mir ins Auge. Aufmerksam verfolgte ich den Fall Baniszewski. Ich las von einem grässlichen Paar in England, das verhaftet und angeklagt wurde, Kinder abgeschlachtet und in den Mooren von Yorkshire vergraben zu haben. Sie hatten ihre Verbrechen sogar fotografiert. Ich las,
wie
dies und
wie
jenes geschah, doch ich fand immer noch nichts über das
Warum
. Warum all das hatte geschehen müssen, warum diese Leute ihre Taten begingen. Es war, als würden mir die Zeitungen mit einem knappen Achselzucken antworten, weil sie sich damit zufriedengaben, dass manche Leute eben verderbt auf die Welt kommen.
    Als alle anderen Kinder wieder nach draußen durften, ließ man mich immer noch nur aus dem Haus, wenn es im Garten etwas zu erledigen gab. Allerdings las ich einen ganzen Stapel Bücher. Diese Welten zu besuchen, konnten sie mir nicht verbieten. Mein Favorit war
Einer flog über das Kuckucksnest
. Ich fand es wundervoll und las es zweimal. McMurphy mochte ich besonders gern. Er erinnerte mich an Jasper Jones und ließ mich ihn vermissen.
    Natürlich vermisste ich Eliza am meisten. Oft träumte ich davon, ihr vor dem Buchladen zu begegnen. Bei einer Zufallsbegegnung, sodass ich sie sehen und riechen und fragen konnte, wie es ihr ging, und mich mit ihr über Bücher und Kunst unterhalten konnte.
    Mein Vater kaufte ein paar neue Romane, als wir Weihnachten in die Stadt fuhren. Ich sah sie durch und nahm ein paar davon mit in mein Zimmer. Er hinderte mich nicht daran, stellte

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