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Wer hat Angst vor Jasper Jones?

Wer hat Angst vor Jasper Jones?

Titel: Wer hat Angst vor Jasper Jones? Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Craig Silvey
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Schlagfertigkeit? Mir fehlen die Worte. Ist mir ein Ohrwurm ins Hirn gekrochen? In meinen Tagträumen spielt sich diese Szene ganz anders ab. Dort hätte ich einen kleinen Witz über die Bedeutung der Pünktlichkeit fallenlassen, über mein begehrtes Junggesellendasein und die Heerscharen junger Damen aus der feinen Gesellschaft, die nur darauf warten, meine Bekanntschaft zu machen.
    «Ach, wirklich? Und wie kommt das, Mr. Bucktin?»
    «Weil ich gewartet hätte. Den ganzen Tag. Bis sie schließen.»
    Jetzt ist sie es, die rot wird, weil ich gerade das verbale Gegenstück eines ungeschickten Kusses von mir gegeben habe.
    Wir wenden beide die Augen ab und schauen über das Oval, wo das Spiel gerade wiederaufgenommen wird. Die Mannschaft von Blackburn läuft als geschlossener weißer Block aufs Feld und wirkt zuversichtlich und einschüchternd. Ihr erster Bowler ist ein Riesenkerl. Er sieht aus, als wäre er alt genug, um an der Schlacht von Gallipoli teilgenommen zu haben. Und als habe er die Niederlage noch nicht verwunden. Er muss der einzige Teenager auf der Welt mit Glatzenansatz sein. Entweder das, oder er hat mit einem seiner Kinder die Geburtsurkunde getauscht.
    Für Corrigan fängt das Innings schlecht an, für mich hingegen phantastisch. Warwick Trent scheidet als Schlagmann punktlos sofort wieder aus. Am liebsten hätte ich sein Wicket von der Seitenlinie aus laut bejubelt. Ich bin voller Häme und Schadenfreude, als er vom Feld trottet und mit dem Schläger gegen seine Schienbeinschützer schlägt.
    Die nächsten beiden Schlagmänner machen ihre Sache besser, doch der Punktestand verbessert sich nur langsam. Ich schaue zu Jeffrey hinüber, der im Schneidersitz mit seiner Ausrüstungstasche im Rücken ein paar Meter von der restlichen Mannschaft entfernt sitzt. Es sieht nicht so aus, als würde er bald zum Einsatz kommen.
    Eliza lobt mein Hemd und berührt meinen aufgekrempelten Ärmel, was mir einen Schauer über den Rücken jagt.
    «Danke», erwidere ich. «Dein Kleid gefällt mir auch.»
    Sie lacht und bedankt sich ebenfalls.
    Dann frage ich behutsam: «Wie geht es deiner Familie? Und wie kommst
du
klar?»
    Eliza zupft am Umschlag ihres Buches. Sie zuckt die Achseln und redet wieder mit diesem Akzent.
    «Es hat sich kaum etwas verändert, glaube ich. Es ist nur nicht mehr so …
akut
. Es ist sehr seltsam. Und traurig. Keiner weiß, was zu tun ist. Meiner Mutter geht es fürchterlich. Weißt du, wir können uns immer noch nicht zum Essen an den Tisch setzen, ohne dass sie in Tränen ausbricht, wenn sie Lauras leeren Stuhl sieht.»
    «Wie schrecklich», sage ich.
    «Ja. Bei meinem Vater sieht es ganz anders aus. Zuerst wollte er einfach nicht wahrhaben, dass sie verschwunden ist. Und jetzt ist es, als hätte er nie eine zweite Tochter gehabt. Er hat es komplett verdrängt. Im Grunde hat er alles verdrängt. Was nicht besonders schwer sein kann, wenn man die ganze Zeit betrunken ist.»
    Letzteres sagt sie ganz leise. Vielleicht möchte sie nicht weiter darüber reden. Aber sie fährt fort.
    «Am schlimmsten war es natürlich an Weihnachten. Meine Vettern und Cousinen, Onkel und Tanten waren alle so vorsichtig und höflich. Man konnte richtig sehen, wie sie dem Thema aus dem Weg gegangen sind. Meine Mutter hatte die Geschenke für Laura schon besorgt, ehe sie verschwunden ist, also hat sie einfach alle eingepackt und mir gegeben. Ich muss sie mit Laura teilen, wenn sie zurückkommt, hat sie gesagt.»
    Plötzlich fängt Eliza an zu weinen. Und ich erstarre. Sie verzieht ganz langsam das Gesicht, versucht einen Moment lang, sich zu beherrschen, doch dann gibt es kein Halten mehr. Wieder fällt ein Wicket. Ringsum herrscht große Bestürzung. Chaos. Mir steht der Mund offen. Ich habe keine Ahnung, was ich tun soll. Warum habe ich bloß danach gefragt? Warum musste ich diese ganze Trauer an die Oberfläche holen? Ich fühle mich schrecklich schuldig und kann kaum hinsehen. Elizas Gesicht rötet sich. Ihre Wangen sind mit Tränen überzogen. Und ich kann nicht umhin festzustellen, dass ihre Grübchen sie noch schöner machen.
    Ich will rückwärts durch die Zeit reisen, zurück zu jener Nacht. Ich will alles wiedergutmachen, will, dass mir jemand sagt, was ich jetzt tun soll. Ihr die Hand auf die Schulter legen? Oder soll ich sie an mich ziehen, wie ich es am liebsten tun würde, und sie festhalten?
    Da fällt mir etwas ein. Ich glaube, ich habe ein Taschentuch dabei. Ich taste meine Taschen ab. Ja. Hoffentlich

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