Wer hat Angst vor Jasper Jones?
ist es sauber. Bitte sei sauber. Es ist sauber. Ich kann mich nützlich machen und gebe es ihr.
«Danke, Charlie», sagt Eliza und lächelt flüchtig. Sie fährt sich über die Augen und putzt sich die Nase. Ihre Mundwinkel weisen immer noch nach unten. Sie lässt die Hände in den Schoß sinken.
«Weißt du, alle warten darauf, dass Laura anruft oder schreibt und sagt, dass alles in Ordnung ist. Oder sie hoffen, dass sie plötzlich nach Hause kommt, aber …» Eliza schüttelt den Kopf und kneift die Augen zu. Ihre Mundwinkel verziehen sich noch mehr, und sie beginnt wieder leise zu weinen.
Ich muss zugeben, dass ich selber dicht davor bin. Meine Augen brennen.
Es schmerzt mich, dass ich nicht das sagen kann, was mir richtig erscheint, weil es eine unverzeihliche Lüge wäre. Ich kann ihr weder Mut noch Trost zusprechen, weil ich weiß, dass Laura Wishart tot ist. Ich weiß genau, wo sie ist, weil ich sie nach ihrem Tod versenkt habe, um Jasper Jones zu retten. Wir haben ihr einen Stein an die Füße gebunden und zugesehen, wie sie auf den Grund eines stillen Tümpels gesunken ist.
Ich nehme an, Eliza wird mich für den Rest ihrer Tage hassen, wenn sie jemals herausfindet, was ich getan habe. Und ich kann es ihr nicht verdenken. Würde sie die Sache mit Jasper verstehen, wenn sie wüsste, dass Laura ihn geliebt und er sie auch geliebt hat und dass die beiden vorhatten, zusammen in die Großstadt zu fliehen? Dass Jasper keine Chance gehabt hätte, wenn wir Laura dort gelassen hätten, wo wir sie gefunden haben? Dass ich versucht habe, das Richtige zu tun?
«Es tut mir leid, Charlie», sagte Eliza schniefend. Wieder tupft sie sich das Gesicht ab.
«Das muss es nicht», erwidere ich und schlucke.
Seufzend schließt sie die Augen. Ich nutze die Gelegenheit, um sie eingehend zu betrachten. Ich möchte ihr die Haare hinter die Ohren streichen, ihr mit dem Handrücken über die Wangen fahren. Sie sieht so schmächtig aus, so klein.
«Ich weiß etwas, Charlie», sagt sie nach einer Weile und macht die Augen wieder auf. «Ich weiß, dass ich kein guter Mensch bin. Ich verstehe nicht mal, warum du überhaupt mit mir redest.»
Stirnrunzelnd schaue ich sie an, bereit, ihre Redlichkeit zu verteidigen. Doch bevor ich den Mund aufmachen kann, winkt sie ab.
«Vergiss es», sagt sie. «Wir kommen schon klar, Charlie. Wirklich. Mach dir keine Sorgen. Lass uns über etwas anderes reden. Egal, was. Erzähle mir irgendetwas Lustiges. Bring mich zum Lachen.»
Zum Lachen? Ich soll sie zum Lachen bringen, nachdem ich sie gerade zum Weinen gebracht habe? Natürlich gerate ich in Panik.
Mein Hirn ist eine riesige humorlos Einöde, in der Wölfe auf Felsklippen den Mond anheulen und der Wind Staub und Steppenläufer vor sich hertreibt. Kleine Häufchen lustiger Worte kauern auf dem Grund flacher Mulden. Ohne nachzudenken, falle ich auf die Knie, greife in den nächstbesten Haufen und ziehe etwas heraus. Und abermals ohne nachzudenken zitiere ich Jeffrey Lu.
«Also gut. Hier hab ich etwas für dich: Würdest du lieber einen Hut aus Spinnen aufsetzen oder Penisse als Finger haben?»
Als mir klarwird, was ich da gerade gesagt habe, will ich auf der Stelle aus meiner Haut schlüpfen und mich in das nächste Loch werfen. Mark Twain hat recht: Ich habe gerade sämtliche Zweifel beseitigt. Wie gern würde ich die Worte in ihre kleine dunkle Mulde zurückstopfen und nach etwas anderem suchen, egal, was. Ich Idiot.
Doch zu meiner Überraschung lacht sie. Sie lacht tatsächlich. Sie lehnt sich kichernd zurück, und ihre Nasenflügel beben. Als sie sich wieder beruhigt hat, stelle ich seltsam befriedigt fest, dass sie sich die Sache durch den Kopf gehen lässt.
«Hmm. Gute Frage. Ob du es glaubst oder nicht, Charlie, die Entscheidung fällt mir ziemlich schwer. Ich habe nämlich schreckliche Angst vor Insekten.»
«Wirklich?», frage ich und springe ihr fast auf den Schoß.
«Ja,
entsetzliche Angst
. Sobald irgendwo ein Insekt auftaucht, kannst du mich vergessen. Ehrlich gesagt ist das meistens gar nicht nötig. Manchmal denke ich mir Ausreden aus, um gar nicht erst nach draußen zu müssen, nur weil ich weiß, dass irgendwo eine Biene in der Nähe ist. Und ich
hasse
Wespen. Mir wird ganz anders, wenn ich nur an sie denke.» Sie schaudert.
«Wirklich? Weißt du, mir geht es ganz …», setze ich an und verkneife mir den Rest. Angst vor Insekten gesteht man Mädchen zu, aber nicht mir. Ich dränge auf eine Antwort.
«Darf ich
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