Wer hat Angst vorm bösen Mann?
Ehemann der ebenfalls in Österreich ermordet aufgefundenen Hure Regina Prem erhält einen makabren anonymen Anruf. Der Anrufer wusste genau, was die Ehefrau in der Mordnacht getragen hatte, und sprach auf das Band, er sei Reginas Henker gewesen und habe insgesamt elf Frauen die Strafe gegeben, die sie verdient hätten.
Jack Unterweger gerät in Verdacht und wird beschattet, aber zur Enttäuschung der Ermittler finden sie nur heraus, dass er seinem üblichen Tagwerk nachgeht: Frauen verführen in Wiener Szene-Beisln, Nightclubs und Champagnerbars. «Wenn er einmarschiert, fallen den Mädchen die Höschen auf den Boden», berichtet ein neidischer Reporter.
Nach den Vorgängen seiner Kreditkarte zu urteilen, war Unterweger allerdings immer zufällig in der Nähe der Tatorte, um Autorenlesungen abzuhalten. In seinen Tagebüchern fehlten ausgerechnet die Seiten der Mordtage.
Genug der Zufälle – die Ermittler zählen eins und eins zusammen und nehmen Unterweger ins Visier. In den ausgebauten Sitzen eines BMW von Unterweger findet sich ein Haar mit DNA -Spuren von Blanka Bockova aus Prag – eine winzige, aber entscheidende Spur.
Die Fahnder durchsuchen seine Wohnung und entdecken ein Foto, auf dem Unterweger mit weiblichen Mitarbeitern des Los Angeles Police Department posiert. Ermittler Dr. Ernst Geiger fragt in der kalifornischen Großstadt nach. Im Sommer 1991 war Unterweger nach L. A. geflogen, um dort für eine österreichische Zeitung zu recherchieren. In dieser Zeit ereignen sich dort drei Mordfälle, bei denen Prostituierte mit ihren Büstenhaltern erwürgt wurden – Shannon Exley, Irene Rodriguez und Peggy Booth. Bei mehreren der Morde in Europa wurde der gleiche ausgefallene Knoten verwendet, um die Opfer zu erdrosseln.
Jetzt stellt sich in Österreich heraus, dass Fasern des berühmten roten Schals von Unterweger, der in seiner Wohnung gefunden worden war, denen entsprachen, die man auf der Leiche von Heidemarie Hammerer ermittelt hatte. Die Schlinge zieht sich zu.
Als er merkt, dass nach ihm gesucht wird, flüchtet Unterweger mit seiner achtzehnjährigen Freundin Bianca Mrak, die er in einer Wiener Weinbar kennengelernt hatte, nach Florida. Er hat vor, Bianca zur Geldbeschaffung auf den Strich zu schicken. Dazu kommt es nicht; zusammen mit ihr wird er 1992 in Miami verhaftet. Angeblich war aus Aufzeichnungen Unterwegers klargeworden, dass die Ermordung Biancas schon beschlossene Sache war.
Beim Prozess in Graz erscheint Unterweger immer fesch gekleidet. Er ist fest davon überzeugt, dass sein Charme und sein gutes Aussehen von der Evidenz ablenken können. In Interviews tut er kund, dass er nie wieder auch nur einen einzigen Tag im Gefängnis verbringen werde. Er bittet das Gericht, ihn nicht nach seinen früheren Taten zu beurteilen. «Ich war ehemals eine Ratte, ein primitiver Krimineller, der grunzte, anstatt zu reden, durch und durch ein Lügner.» Aber nun er sei geläutert. «Er war, ohne jemals studiert zu haben, ein begnadeter Psychologe, ein exzellenter Beobachter und ein zumindest leidlicher Schauspieler», so sein Gutachter Reinhard Haller. [4]
Unterwegers Anwälte argumentieren, er habe es gar nicht nötig gehabt, Frauen zu ermorden. Er hat einen Schlag bei den Frauen – wozu brauche er überhaupt eine Prostituierte? Der psychiatrische Sachverständige erläutert aber, dass es dem Serientäter nicht um Sex ging, das Töten sei für Unterweger die Attraktion. Er wird 1994 wegen neunfachen Mordes zu lebenslanger Haft verurteilt. In zwei weiteren Mordfällen kann man ihm die Tat nicht nachweisen.
Er erfüllt sein Versprechen, nie wieder einen einzigen Tag in Haft zu verbringen. Als die Wachen einen Moment lang unaufmerksam sind, zieht er eine Schnur aus seiner Jogginghose und erhängt sich. Der Gerichtsgutachter Haller mutmaßt, es sei eine demonstrative Suizidhandlung gewesen, die unbeabsichtigt tödlich ausging – denn solche appellativen Selbstmordversuche hatte Unterweger schon mehrfach inszeniert. [5] Der ungewöhnliche Knoten seines Henkerseils war übrigens der gleiche wie derjenige, den er bei seinen Opfern angewendet hatte.
Wie kann ein Mensch so offenbar charmant, einfühlsam und anziehend wirken, dessen Seele aus purem Menschenhass besteht? Der Schlüssel für diesen Widerspruch liegt im Wesen einer «antisozialen Persönlichkeitsstörung». Diese psychische Störung war einerseits der Hintergrund für seine abscheulichen Taten, erklärt aber zugleich auch seine
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