Wer hat Angst vorm boesen Wolf
wollte, bis irgendwer ihn wegschleppte, er selbst konnte ja nicht gehen.
»Trinkst du gern Whisky? Long John Silver, absolut genial temperiert.«
Morgan zog an seiner Zigarette und starrte vor sich hin. Kratzte sich an der Wade, weil ihm die ganze Zeit irgendwelche Insekten auf die Nerven gingen. Ihm brach der Schweiß aus, als er nach dem Viehzeug schlug, und einen Moment lang starrte er Errki, der bewegungslos im Gras lag, mißtrauisch an.
»Wie schaffst du es, so still zu liegen?« fragte er mürrisch. »Du hast doch eine ganze Fliegenarmee direkt über der Visage.«
Er drückte die Zigarette im Gras aus. Sprang auf und ging zu
Errki hinüber. Bückte sich über ihn, packte ihn an der Schulter und zog ihn hoch.
Errki schwankte. »Faß mich nicht an!«
»Ach, das gefällt dir also nicht, ja? Du hast vielleicht Angst, ich könnte dich anstecken oder so? Leute wie du haben doch immer Angst vor Bazillen, stimmt das nicht? Aber mir fehlt nichts, und gestern habe ich geduscht, was mehr ist, als man von dir behaupten kann.«
Ein plötzlicher Windstoß ließ den Mantel flattern, er rollte über den Boden. Errki fuhr zusammen und hob die Hände.
»Was ist los mit dir?« Morgan sah ihn an. »Ist dir schlecht, oder was? Deine Medikamente kann ich dir nicht besorgen, aber ehrlich, wenn ich das könnte, würde ich es tun. Ich bin nicht geizig. Und dieser Überfall«, er schluckte schwer. »Das kapierst du nicht, aber es war wirklich ein Freundschaftsdienst.«
Das sagte er mit allergrößter Aufrichtigkeit. Errki war verwirrt. Der andere blies sich in der einen Sekunde auf wie ein Prallsack und war in der nächsten freundlich wie ein Krankenhauspastor. Er drehte sich um und ging. Er ging sehr schnell und war schon weit weg, als Morgan sich gefaßt hatte.
»Nicht so eilig, ich komme jetzt.«
Aber Errki machte lange Schritte, verschwand plötzlich halb hinter einem Strauch. Morgan hörte das trockene Knacken abbrechender Zweige. »Jetzt warte gefälligst. Ich hab einiges zu tragen.«
Er ging und ging. Die beiden im Keller schauten ihm hinterher. Nestor drehte unmerklich den Kopf. Vielleicht gab er dem Mantel ein kleines Zeichen, und der winkte mit einem Arm, um es aufzuschnappen. Die beiden schienen etwas zu planen oder einen wichtigen Entschluß zu fassen. Er ging schneller. Das wollten sie doch, sie wollten sehen, was dann passierte. Hinter sich hörte er die Schritte des anderen und seinen keuchenden Atem. Er dachte an den Revolver, daran, was der vermochte, an alle Macht im Himmel und auf Erden.
»Errki, zum Teufel. Ich schieße!«
Morgan lief. Ihm ging auf, wie dicht der Wald war, daß Errki jeden Moment verschwinden konnte, er konnte sich einfach hinter einen Busch hocken und abwarten, bis Morgan vorbeigelaufen war. Morgan kannte sich hier oben doch nicht aus, o verdammt, ob er den Weg zur Straße finden würde?
»Ich schieße, Errki, ich habe viele Kugeln. Weißt du, was diese Kugel macht, wenn ich dich im Bein treffe? Sie stülpt dir die Wade um!«
Die Wade? Errki mußte sich arg konzentrieren, um sich an einen Körperteil namens Wade zu erinnern. Er sah sie nie, sie war immer hinter ihm. Also lief er einfach weiter, bis er einen scharfen Knall hörte und etwas in Ohrhöhe an ihm vorübersauste. Es war, als ob die Kugel ihn anhauchte. Eine Sekunde darauf bohrte sie sich vor ihm in einen Baumstamm. Weiße Holzsplitter ragten wie struppige Haare aus dem Stamm. Er blieb stehen.
»So, ja. Jetzt hast du kapiert. Das hab ich mir gedacht.«
Morgan hechelte wie ein Hund. »Beim nächsten Mal nehm ich deine Wade. Und jetzt geht’s langsamer. Wir müssen bald eine Pause machen, ich halte dieses Gerenne nicht durch. Und es ist schon spät.«
Errki biß sich auf die Lippe. Jetzt war es bald soweit. Er spürte, daß er kurz davor und nicht vorbereitet war. Er schaute sich um. Wußte genau, wo sie sich befanden. Der andere wußte das nicht. Ruhiger ging er weiter. Er durfte den anderen nicht reizen. Er sah die Wunde im Baum vor sich. Und die Wunde in einem Rücken, eine ganze Explosion, tief drinnen im Mark, zerfetzte Haut, Blut, das wie aus einem geöffneten Hahn strömte, der große Sprung in die Ewigkeit.
Danach sehnte er sich. Aber er schob es vor sich her, mußte sich noch vorbereiten, auf den richtigen Tag, die richtige Stunde warten. Bald würde es soweit sein. Das spürte er. Es war so viel passiert. Der Mann hinter ihm war ihm vielleicht als Helfer geschickt worden. So stellte er sich die Sache vor: Er
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