Wer hat Angst vorm starken Mann? - Mallery, S: Wer hat Angst vorm starken Mann?
Halloweenparty waren es nicht einmal mehr sechs Wochen, und davor fand noch das Herbstfestival statt. Die Thanksgiving-Parade würde nach der Halloweenparty abgehalten werden, aber vor dem Weihnachtsbasar. Der Samstag, der unter dem Motto stand „Wir geben“, leitete über zum Open-Air-Gottesdienst, der am Sonntag vor Weihnachten stattfand. Anschließend folgte Silvester und so weiter.
Ein Projekt zurzeit, erinnerte sie sich und machte ein paar Notizen auf dem Kalender. Nur so stand sie das durch. Es warja auch nicht so, als wenn diese Events neu wären. Die Pläne blieben mehr oder weniger unverändert. Sie besaß Masterlisten, die gegengecheckt und abgearbeitet werden mussten, Dekorationen, die überall in der Stadt gelagert wurden und die sie nur herausholen lassen musste. Wenn das hier irgendwann mal langweilig werden sollte, konnte sie sich ja darum bewerben, die Welt zu managen. Es gab …
Sie stutzte und starrte auf das kleine Rechteck auf dem Kalender. Statt zu notieren, wann sie dafür sorgen musste, dass Stühle und Stände aus dem Lager geholt wurden, hatte sie ein paar kleine Herzen gemalt. Auch wenn das niedlich war, hilfreich war es nicht gerade. Schlimmer … sie kannte den Grund dafür.
Raouls Kuss.
Egal, wie oft sie sich einredete, dass der Kuss nichts zu bedeuten hatte, konnte sie sich und ihr Herz nicht davon überzeugen. Diese eine kleine Sekunde Lippenkontakt hatte alles verändert. Plötzlich war er nicht länger nur Raoul, jemand, den sie kannte, sondern er war ein Mann. Und weil er ein Mann war, musste sie sich in seiner Gegenwart in Acht nehmen, was ihr gar nicht gefiel.
Bewusstsein ist alles, dachte sie grimmig. Vor zwei Tagen war er lediglich der große, dunkle und gut aussehende Typ gewesen, als den ihn alle Welt ansah, was sie jedoch nicht wirklich interessiert hatte. Er hatte mitbekommen, wie sie hysterisch geworden war, und hatte das auf einnehmende und bewundernswerte Art und Weise weggesteckt. Seitdem hatte sie ihn als Freund angesehen.
Jetzt merkte sie, dass sie wohl zwei- bis dreihundert Mal am Tag an diesen dummen Kuss dachte. Sie überlegte, warum er sie geküsst hatte, wünschte, er würde es wieder tun, stellte sich vor, wie es wäre, wenn er mehr tun würde, als sie nur zu küssen. Es war nicht nur mitleiderregend, sondern auch reine Zeitverschwendung.
Sie stand nicht unbedingt auf einen gewissen Typ von Mann,aber wenn, dann wäre es definitiv nicht Raoul. Er war zu perfekt. In all ihren Träumen von einem Happy End war der fragliche Mann ein ganz normaler Typ gewesen. Vielleicht sogar langweilig. Langweilig war verlässlich. Langweilig bedeutete, dass eine Frau darauf bauen konnte, dass sie von dem Mann nicht verlassen wurde. Aber Raoul? Er war ein Herzensbrecher, selbst wenn er es gar nicht darauf anlegte.
„Es war nur ein Kuss“, flüsterte sie. „Vergiss es.“
Guter Rat. Und irgendjemand, irgendwo, würde ihn wahrscheinlich befolgen. Sie leider nicht. Dafür war ihr die köstliche Berührung seiner Lippen und seine Körperwärme noch allzu gegenwärtig, und sie wünschte …
Frustriert stieß Pia leicht mit dem Kopf gegen die Wand, in der Hoffnung, auf diese Art wieder zu Verstand zu kommen. Vielleicht war das Problem nicht, dass Raoul nicht ihr Typ war, vielleicht war es ein viel grundsätzlicheres Problem. Vielleicht würde sie die ganze Sache gar nicht so überbewerten, wenn sie öfter mal jemanden küssen würde. Vielleicht sollte sie sich mal wieder verabreden.
Pia verdrehte die Augen. „Oh, bitte. Als ob das passieren würde.“
Wenn sie sich wirklich die Embryonen einsetzen ließ, dann war es endgültig vorbei mit dem Verabreden. Außerdem, was ihre bisherigen Beziehungen anging, hatte sie sich auch nicht gerade mit Ruhm bekleckert. Immer wurde sie verlassen, und sie wusste beim besten Willen nicht, was sie tat, um die Männer zu vertreiben.
Sie schreckte aus ihren Gedanken auf, als es an der Bürotür klopfte. Sie hob den Blick und stellte überrascht fest, dass Raoul hereingeschlendert kam.
Er sieht gut aus, dachte sie und ermahnte sich gleichzeitig, selbst cool und professionell auszusehen. Und falls sie das nicht schaffen sollte, wäre es gut, wenn sie zumindest nicht verzweifelt und Not leidend wirkte.
„Hallo“, meinte sie deshalb fröhlich. „Ich hatte heute keineemotionale Krise, daher können wir eigentlich keinen Termin haben.“
Statt sich von ihrem sprühenden Witz beeindruckt zu zeigen, starrte er sie so intensiv an, dass sie
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