Wer Hat Angst Vorm Zweiten Mann
sportlichen Trainingsprogramms verordnet hätte – lag ich mit meiner Prognose allerdings nur fast richtig, da er sich kürzlich von seiner Freundin Inka, der Mutter seiner vierjährigen Tochter Nele, getrennt hatte. Oder besser gesagt hatte Inka sich von ihm getrennt, wie er mir nach seinem dritten Glas Rotwein gestand.
Als Sven von seiner letzten Geschäftsreise spät am Abend nach Hause zurückkehrte, fand er seine Wohnung komplett leer geräumt vor. Ohne Vorwarnung war Inka, während er weg war, mit der gemeinsamen Tochter umgezogen, hatte bis zum letzten Seifenstück alles mitgenommen und Svens per sönliche Sachen zum Rattengift in den Keller geräumt. Mit einem Feuerzeug tastete sich Sven an jenem Abend seinen Weg durch die dunklen Räume seines Zuhauses. Unter der Küchentür sah er schließlich einen matten Lichtstrahl schimmern. Sven öffnete die Tür und fand unter einer verwaisten Glühbirne, die von der Decke baumelte, einen Zettel auf dem Boden. Darauf hatte Inka geschrieben: »Der Letzte macht das Licht aus.«
Mich erinnerte der Racheakt an den Trennungsalbtraum eines ehemaligen Kollegen aus dem Architekturbüro, dessen Exfrau noch einen Schlüssel zur ehemals gemeinsamen Wohnung besessen hatte. Dort säte sie – während mein Kollege mit seiner Neuen auf Ibiza in der Sonne schmorte – Kressesamen auf alle Sisalteppiche und Rattanmöbel und goss diese täglich so lange, bis die Wohnung einem großen Gemüsebeet glich.
Als ich nachbohrte, was Inka veranlasst hatte, Sven auf so eine Weise sitzen zu lassen, hob er ratlos die Schultern.
»Wir haben uns vor ein paar Jahren über die Arbeit kennengelernt«, sagte er und antwortete bewusst an meiner Frage vorbei. »Damals war sie eine sehr gute Eventmanagerin mit unschlagbarem Humor.«
Weil Inka schon über vierzig war, berichtete Sven weiter, sollte Nele ihr einziges Kind bleiben. Er konnte es deshalb verstehen, dass Inka jede Sekunde Mutterdasein auskosten und nach der Geburt erst mal nicht arbeiten wollte. Außerdem erleichterte es ihn zunächst auch, dass sie die Verantwortung für ihre Tochter mit so viel Gewissenhaftigkeit übernahm und ihm damit den Rücken freihielt.
»Mit der Zeit«, fuhr Sven fort, »wurde Inka aber immer dog matischer und mutierte zu einer typischen Latte-macchiato-Mutter.«
Ich wusste, was Sven mit der Bezeichnung meinte, da dieser Muttertypus in jüngster Zeit zum Lieblingsthema zynischer Journalisten avanciert war.
Eine Latte-macchiato-Mutter aus Berlin-Mitte oder vom Prenzlauer Berg war hiernach die Verwandte der Zehlendor fer Muddi, und man erkannte sie daran, dass sie hauptbe ruflich als überehrgeizige Managerin ihrer Kinder tätig war; ausschließlich Bioprodukte kaufte; kategorische und teilweise militante Impfgegnerin war; ebenso viel Geld beim Shoppen ausgab wie ihre Zehlendorfer Verwandte, mit dem Unterschied, dass man ihrem verranzten Straßenchic den hohen Preis nicht ansah; ihre Kinder in dem schwarzen BMW X5 oder dem schwarzen Kombi Audi A6 Avant ihres Mannes durch die engen Innenstadtstraßen vom Capoeira-Workshop zum Kinder-Yoga fuhr und dabei grundsätzlich Schwierigkeiten mit dem Einparken hatte.
Sven vertraute mir weiter an, dass Inka – seiner Interpretation nach – in ihrer Mutterrolle nicht nur alles richtig, sondern perfekt richtig machen wollte. Doch je absichtsvoller sie das Ganze anging, desto überspannter wurden ihre Erwartungen, die sie in ein gemeinsames Familienleben setzte. Und umso gereizter verhielt sie sich gegenüber Sven, wenn er Nele nicht exakt so behandelte, wie Inka es in ihren Erziehungsratgebern gelesen hatte, oder im Haushalt etwas an den falschen Platz räumte beziehungsweise Inkas feste Tagesstrukturen durch einen spontanen Einfall durcheinanderbrachte.
»Inka war so besessen in ihrem Streben nach Ordnung, dass an unserem Kühlschrank sogar eine Exceltabelle hing, in die sie den Essensplan für den ganzen Monat inklusive Einkaufs listen eingetragen hatte«, reflektierte Sven. »Dass ihr verspann tes Ziel nach Perfektion unerreichbar war, weil es ein ›noch perfekter‹ und ›noch ordentlicher‹ immer geben würde, wollte sie nicht hören. Im Gegenteil: Schon die kleinste Kritik an ihrem Verhalten hat jedes Mal zu einem heftigen Streit zwischen uns geführt.«
Natürlich hätte er auch Fehler gemacht, räumte er noch ein. So hatte er sich irgendwann, um dem ständigen Gezanke mit Inka aus dem Weg zu gehen, immer öfter hinter seiner Arbeit in der Firma versteckt. Das
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