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Wer Hat Angst Vorm Zweiten Mann

Wer Hat Angst Vorm Zweiten Mann

Titel: Wer Hat Angst Vorm Zweiten Mann Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lilian Thoma
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halt. Nach kurzem Zögern wählte ich entschlossen seine Nummer, die immer noch aktuell war.
    Zu meinem Erstaunen wunderte sich Boris nicht sonderlich darüber, dass ich mich nach über zehn Jahren wieder bei ihm meldete. Wahrscheinlich ging er davon aus, dass jede Frau, die schon mal mit ihm geschlafen hatte, früher oder später zu ihm zurückkehren würde, und sei es nur für eine Nacht. Schon damals, als ich Boris kennenlernte, gehörte er zu dem Typ Dauersingle, der mit mehreren Langzeit- und Kurzzeitaffären jongliert und sich nie auf eine Frau festlegt; und so wie es schien, hatte sich daran bis heute nichts geändert.
    »Was machst du am Freitagabend?«, fragte mich Boris nach kurzem Small-Talk-Geplänkel.
    »Dich treffen?«
    »Ja, klingt cool«, entgegnete er und nannte mir Ort und Uhrzeit.
    Die unrenovierten Kellergemäuer der Bar O-Train , in der ich mich mit Boris um kurz nach Mitternacht treffen sollte, waren noch leer, als ich sie betrat. Vor zwölf Uhr nachts geht das Nachtleben in Berlin nirgendwo los, und hier, im angesagten Grenzgebiet zwischen Kreuzberg und Neukölln, fing es noch später an.
    Dumpfe Minimal-House-Beats dröhnten mir entgegen, und in einer Ecke des Gewölbes entdeckte ich einen in die Jahre gekommenen DJ, der in Röhrenjeans gezwängt mit geschlossenen Augen im Takt wippte und von seiner späten Entdeckung träumte. Wenigstens gab es um diese Uhrzeit noch keine Türkontrolle. Eine Bekannte von mir, Mitte dreißig, war kürzlich in derselben Gegend von einer Türsteherin mit der Bemerkung: »Jetzt kommen die schon zum Sterben her«, abgewiesen worden.
    An der Bar – mit einer Bierflasche in der einen und einer Zigarette in der anderen Hand – stand Boris. Gute zehn Jahre waren vergangen, seit wir uns zum letzten Mal gesehen hatten, doch Boris hatte sich äußerlich kaum verändert; abgesehen von ein paar neuen Falten im Gesicht und der Tatsache, dass sein weit aufgeknöpftes Hemd meinen Blick nicht mehr auf eine stark be haarte, sondern auf eine trendgemäß stark ent haarte Brust lenkte.
    »Ahoi, Phyllis«, sagte Boris, als er mich erkannte, und aus seinem Lächeln leitete ich seine Erleichterung darüber ab, dass ich immer noch ganz gut aussah. Unmissverständlich küsste er mich zur Begrüßung auf den Mund, bestellte uns zwei Gin Tonics und gab dem Barkeeper dabei ein Zeichen, mit dem Alkohol für mich nicht sparsam umzugehen.
    Während wir an unseren Drinks nippten, qualmte Boris eine Zigarette nach der anderen und erzählte mir vermeintlich lustige Anekdoten aus seinem Leben. Doch je länger ich ihm zuhörte, desto ernüchterter wurde ich. Als wäre die Zeit stehen geblieben, gab Boris immer noch dieselben Geschichten zum Besten wie vor zehn Jahren. Nicht nur, dass ich sie alle schon kannte, sie hatten mich auch damals schon nicht sonderlich interessiert. Beruflich hatte Boris immer noch genauso viele diffuse Kreativprojekte am Start wie früher, von denen niemals eines verwirklicht wurde. Nachts hopste er von einer Party zur nächsten, und in seinem Privatleben kamen und gingen die Frauen.
    Irgendwann fragte er mich ohne wahres Interesse, wie es mir denn in der Zwischenzeit so ergangen war. Während ich von meiner Trennung von Mark berichtete, beäugte er mich mit seinem einstudierten Schlafzimmerblick, zog betont gelangweilt an seiner Kippe und kam sich dabei besonders verführerisch vor.
    Als Boris nach einer gefühlten Ewigkeit in Richtung Toiletten verschwand, konnte ich mir ein Gähnen nicht länger verkneifen. Ich sah auf die Uhr, stellte mit Entsetzen fest, dass erst eine knappe Stunde vergangen war, und gestand mir ein, dass Boris mich noch mehr langweilte als die Zehlendorfer Abendessen.
    Nach und nach füllte sich die Bar mit szenigen IT-Menschen und solchen, die es noch werden wollten. Ich rechnete mir aus, wie lange ich noch bleiben musste, damit meine Babysitterin auf die ihr zugesagten fünfzig Euro für ihren Arbeitseinsatz kommen würde. Und weil ich mir wegen meiner trennungsbedingten Sparmaßnahmen einen Babysitter-Abend nur noch selten leisten konnte, ärgerte ich mich über meine Fehlinvestition.
    Schließlich kehrte Boris zurück, zog seine Nase ein paar Mal hoch, bot mir auch etwas von seinem Koks an und raunte mir dann betont lasziv ins Ohr, ich hätte trotz meiner vielen Kinder immer noch einen genauso geilen Arsch wie früher, und fickende Mütter würden ihn total anmachen.
    Er ist erbärmlich!, dachte ich und verlor endgültig die Lust auf ihn.

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