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Wer Hat Angst Vorm Zweiten Mann

Wer Hat Angst Vorm Zweiten Mann

Titel: Wer Hat Angst Vorm Zweiten Mann Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lilian Thoma
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wie immer die gestalterische Planung des familiären Events übernehmen würde – was ich natürlich auch tat, da ich wusste, wie wichtig ein schöner erster Schultag für Lorenz sein würde.
    Da meine Mutter in Marbella und Marks Eltern seit Kurzem in Singapur lebten, lud ich Lorenz’ Patentante Cosima und seinen Patenonkel Jakob – einen Freund von Mark – ein. Außerdem reservierte ich einen Tisch in einem italienischen Restaurant in der Nähe des Kollwitzplatzes.
    Den Tag vor der Einschulung verbrachte ich von morgens bis abends in Kaufhäusern. Bis sich Lorenz für den Schulranzen seiner Wahl mit Quadbike-Motiv plus Federmäppchen, Turnbeutel, Frühstücksbrotbox und Trinkflasche entschieden hatte, waren schon geschlagene drei Stunden vergangen. Noch komplizierter gestaltete sich die Schnitzeljagd nach den sechsunddreißig Kleinutensilien, um deren Erwerb die Schulleitung die Eltern bereits im Vorfeld gebeten hatte.
    In der ersten Schreibwarenabteilung fand ich die richtigen Schnellhefter zwar in Rot, Grün und Blau, nicht aber in den zusätzlich gewünschten Farben Lila und Orange. Außerdem gab es den Wasserfarbkasten hier nicht von der Firma, den die Schule »sehr empfahl«. Die nächste Schreibwarenabteilung führte zwar lila- und orangefarbene Schnellhefter, doch auch hier war der gewünschte Malkasten nicht im Sortiment.
    Erst in einem Spezialladen für Künstlerbedarf wurde ich endlich fündig und nahm mir jetzt schon vor, für den Einkauf der Schulerstausstattung der Zwillinge, wenn es so weit war, sicherheitshalber eine ganze Woche einzuplanen.
    Am Morgen der Einschulung kam Cosima zum Frühstück zu uns und schenkte Lorenz wie vereinbart eine Formel-1-Schultüte mit grün blinkender Startampel. Der nahm sein Geschenk stolz entgegen und brachte es vor seinen Schwestern in Sicherheit. Zwar murrte er immer noch darüber, nicht zusammen mit seinen alten Zehlendorfer Freunden in die Schule zu kommen. Die Freude darüber, endlich ein Schulkind zu sein, ließ ihn seine Rebellion an diesem Tag jedoch vergessen.
    Mit Mark und Jakob trafen wir uns vor der Mehrzweckhalle von Lorenz’ Schule. Lorenz, der die beiden als Erster entdeckte, rannte aufgeregt los. In seiner Euphorie drängelte er sich rempelnd durch das Gewühl anderer Schüler und Eltern.
    »Vorsicht!«, rief ich ihm hinterher, als ich sah, dass er beinahe seinen Schulranzen einer Mitschülerin ins Gesicht rammte. Doch Lorenz hatte Mark inzwischen erreicht, der ihn stolz mit einem »Highfive« -Handschlag begrüßte.
    »Gut gemacht, Lorenz«, hörte ich Mark über die Köpfe der Menschen hinwegtönen, »immer mit voller Kraft voraus! Du bist der perfekte Anwaltsnachwuchs!«
    Peinlich berührt sah ich in eine andere Richtung, damit mich niemand mit Mark in Verbindung brachte.
    »Hoffentlich lästert er jetzt nicht wieder über den Prenzelberg«, flüsterte ich Cosima zu, während wir gemeinsam in die bestuhlte Mehrzweckhalle gingen. Üblicherweise ließ Mark nämlich keine Gelegenheit aus, über das neue Zuhause seiner Kinder – wie er sie provokativ vor mir nannte – herzuziehen.
    Juristische Hindernisse – wir teilten uns das Aufenthaltbestimmungsrecht für die Kinder – hatte er mir vor meinem Umzug zwar nicht in den Weg gestellt. Doch machte er keinen Hehl daraus, dass er als lokalpatriotischer »Westberliner« »Ostberlin« ebenso unattraktiv fand wie ein Kölner Düsseldorf und umgekehrt, und dass ihn außerdem Albträume plagten, weil seine Kinder in Zukunft von Ossis und Schwaben sozialisiert würden.
    Die Direktorin der Schule, Frau Gerlach-Rustemeier, die eine gefönte Kurzhaarfrisur und eine trapezförmige, rot um randete Brille trug, begann ihre Ansprache pünktlich um zehn Uhr:
    »Liebe ABC-Schützen, liebe Eltern, liebe Großeltern, liebe Paten und wer sonst noch aufgeregt hier ist«, sagte sie und bemühte sich dabei um einen kindgerechten Schmunzelton.
    »Heute, liebe Erstklässler, beginnt für euch also der Ernst des Lebens.« Frau Gerlach-Rustemeier hielt inne, nachdem sie »Ernst« spielerisch als Drohung ausgesprochen hatte. Dann fuhr sie fort: »Ich hoffe, ihr habt euch auf den Ernst gut vorbereitet!«
    Wieder legte Frau Gerlach-Rustemeier eine theatralische Pause ein und sah die Erstklässler, die in der ersten Reihe saßen, mit gespielter Strenge an.
    »Aber keine Angst«, sprach sie plötzlich ganz munter weiter: »Bald werdet ihr den Ernst bestimmt genauso gern mögen wie den Hans und den Franz!«
    Cosima stieß mich

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