Wer hat das Rind zur Sau gemacht?
von Rindfleisch ums Leben zu kommen.
Bei jedem Lebensmittelskandal gibt es einige publizistische Meinungsführer, zahllose Mitläufer und wenige Skeptiker, die zudem in den Massenmedien kein Forum finden – außer, um als «gefährliche Irrmeinung» widerlegt zu werden. Wir möchten Ihnen in diesem Buch anhand der Skandale aus der jüngeren Vergangenheit zeigen, welche nicht thematisierten Miss- und Notstände und welche kühl kalkulierten Machenschaften hinter so manchem Lebensmittelskandal stehen. Denn meist droht die Gefahr nicht so sehr von den ins Gerede gekommenen Lebensmitteln als von den verbreiteten Fehlinformationen.
Dieses Buch soll Ihnen nicht zuletzt helfen, Risiken im Lebensmittelbereich für sich persönlich besser einzuschätzen. Wer diese Spiele, die medialen Parallelwelten, nicht durchschaut, wird sich über kurz oder lang von diffusen Ernährungsängsten gelähmt fühlen. Dass bald die nächste Sau durchs Internet-Dorf getrieben wird, ist so sicher wie das Amen in der Kirche. In den folgenden Kapiteln möchten wir Ihnen ein paar Instrumente an die Hand geben, echte Wildsäue von virtuellen Schweinereien zu unterscheiden.
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1 Schlank durch Pommes – Acrylamid: Viel Rauch um nichts
Erinnern Sie sich noch an die allgegenwärtigen Warnungen vor dem bösen Acrylamid? Im April 2002 hatten schwedische Experten den Gefahrstoff in Kartoffelchips und Pommes frites aufgespürt und diese Entdeckung in einer vielbeachteten Pressekonferenz der Weltöffentlichkeit präsentiert. Eilends griffen die Behörden der deutschsprachigen Länder das Thema auf und überschlugen sich mit Warnungen vor dem «Pommesgift». Auch die Medien waren von der Chemikalie mit dem kurzen Namen angetan, den jeder Fernsehmoderator unfallfrei aussprechen konnte, noch dazu mit einem giftig klingenden Ypsilon in der Mitte. Die Verbraucherschützer nutzten die Gunst der Stunde und forderten, «die Industrie», diese alte Giftmischerin, solle den Acrylamidgehalt in Lebensmitteln gefälligst drastisch senken, denn das Zeug sei schließlich krebserregend.
Seltsam nur, dass eines in den Medien unerwähnt blieb: Die schwedischen Forscher hatten ihre angeblich nagelneue Entdeckung längst in der Fachpresse publiziert. Bereits im Jahr 1999 hatten sie ihr Manuskript bei der Redaktion des Fachblatts
Chemical Research in Toxicology
eingereicht, wo es später unter dem Titel: «Acrylamide: a cooking carcinogen?» erschien. 55 Dort stand zu lesen, dass beim Erhitzen von Lebensmitteln Acrylamid entstehen kann und diese Substanz im Blut der Bevölkerung nachweisbar ist. Es interessierte sich aber niemand so recht dafür, denn damals dominierte der Rinderwahnsinn die Schlagzeilen. Zum Skandal taugte dieser Befund erst Jahre später. Damit bot sich den Politikern die Chance, sich nach dem vergeigten Krisenmanagement bei BSE als rührige Verbraucherschützer zu profilieren.
Zudem war das Acrylamid gleichsam Wasser auf die Mühlen aller, die immer schon wussten, dass Pommes «ungesund» sind, aber keinen stichhaltigen Grund dafür angeben konnten. Der Fettgehalt gibt leider nichts her; schließlich stecken in Backofenpommes nur magere fünf Prozent, und selbst bei McDonald’s-Fritten entspricht er mit 16 Prozent gerade einmal dem einer Butterstulle. Dank Acrylamid konnten die notorischen Bedenkenträger endlich die Zeigefinger heben und den Kindern eine ihrer Lieblingsspeisen vermiesen. Hatten die «Wissenden» nicht schon seit Jahren gepredigt, statt traditioneller Grundnahrungsmittel wie Bratkartoffeln mit Buletten – vulgo Pommes mit Hamburger – lieber ballaststoffhaltige Magenfüller zu mümmeln, wie Knäckebrot an Halbfettmargarine?
Als später durchsickerte, dass Sesamknäcke indessen deutlich stärker mit Acrylamid belastet ist als Chips oder Fritten, herrschte bei Ernährungsberatern, in den Verbraucherzentralen und den Medien Funkstille. So wurde jedenfalls das Flaggschiff der Gesundkost, Knäckebrot mit Magerquark und Radieschen, vor dem Absaufen bewahrt. Mit «Krebs durch Acrylamid» wurde erst wieder gedroht, als es auch Bratkartoffeln und Röstis erwischt hatte. Prompt konnten die AufklärerInnen beliebte und nahrhafte Kartoffelgerichte wieder durch angesäuerte Salatvariationen ersetzen.
Pommesgift im Muckefuck
Inzwischen nahte die Adventszeit, und die Weihnachtsbäckerei ließ nicht nur Kinderherzen höherschlagen. Bis das Bundesinstitut für Risikoforschung (BfR) die unfrohe Botschaft verkündete: In
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