Wer heimlich küsst, dem glaubt man nicht (German Edition)
Plötzlich liebte ich Sidney noch mehr, als ich sie in all den Jahren unserer Freundschaft je geliebt hatte. Es stimmt zwar, dass sie gegen viele Menschen Vorurteile hat, oft oberflächlich und ein unheilbares Klatschmaul ist, aber sie kann eben auch der coolste Kumpel sein, den man sich nur wünschen kann. Ich erinnerte mich gerührt daran, wie sie mich, nachdem ich bei einem Fotowettbewerb des Parade Magazine nicht gewonnen hatte, zum Trost in das legendäre Eiscafé Serendipity in Manhattan eingeladen hatte. Sidney spendierte mir eine Frozen Hot Chocolate und hatte totales Verständnis für mich, ohne auch nur einmal anzumerken (wie es gewisse andere Leute bestimmt getan hätten), dass ich vielleicht nur deswegen keinen Preis bekommen hatte, weil ich mich selbst nicht verstand oder nicht genug liebte.
Sie war ein Engel!
»Oh Gott, Sidney!« Erleichterung durchflutete mich wie eine erfrischend kalte Dusche nach einer langen Radtour im Hochsommer. »Du ahnst ja nicht, was ich mir für Sorgen gemacht habe. Ich konnte die ganze Nacht nicht schlafen, weil ich solche Angst vor deiner Reaktion hatte …«
»Machst du Witze?« Sidney sah völlig entgeistert aus. »Es geht mich doch gar nichts an, mit wem du rumknutschst oder nicht. Das ist ganz allein deine Sache. Ehrlich gesagt, bin ich eher erleichtert, weil das beweist, dass du auch nur ein Mensch aus Fleisch und Blut bist.«
Ich blinzelte verwirrt. »Wie meinst du das?«
»Manchmal hat man bei dir das Gefühl, dass du absolut unfehlbar bist.«
Mir klappte die Kinnlade herunter. »Wie bitte?«
»Na ja, du bist die totale Überfliegerin. Es ist fast schon abnormal. Du bist eine Spitzenschülerin und eine tolle Fotografin, du bist hübsch, alle mögen dich – sogar die Erwachsenen. Du trinkst nicht, du rauchst nicht, du schläfst nicht mit Seth. Und trotzdem hat er nicht mit dir Schluss gemacht …«
Mein Gefühl der Rührung ebbte etwas ab. »Wow, okay«, sagte ich. »Danke, Sidney.«
Sie zuckte mit den Schultern. »Ist ja auch egal. Ich sag dir nur, wie ich das sehe. Jedenfalls könnte man dich glatt für einen Übermenschen halten, bis auf die Sache mit der Reisekrankheit. Das ist deine einzige Schwäche. Na ja, und jetzt die Geschichte mit diesem Footballer. Hoffentlich kriegt Seth das nicht mit. Der würde ihm bestimmt eins auf die Fresse hauen, und das wäre echt schade um sein hübsches Gesicht. Aber jetzt lass uns nicht so lange reden. Du musst aufstehen. Vergiss nicht, dass wir einen Termin im Kosmetiksalon haben.«
Statt aus dem Bett zu springen, starrte ich sie nur fassungslos an. »Wie … wie hast du ihn gerade genannt?«
»Wen?« Sidney war von meinem Bett aufgesprungen und betrachtete sich kritisch im Spiegel über meinem Schminktisch. »Ach so, du meinst den Footballer? Aber du hast mir doch erzählt, dass Liam ihn aus dem Football-Trainingslager kennt. Oh mein Gott, ist das etwa ein Mitesser, Katie? Verdammt, was mach ich nur?! Ach nein, es ist nur verschmierte Wimperntusche. Gott sei Dank. Los, jetzt beeil dich!«
FÜNFZEHNTES KAPITEL
Sidney war vollkommen ahnungslos. Unglaublich, aber so war es. Sie wusste es nicht.
Woher auch? Sie hatte lediglich gesehen, dass ich auf dem Mitarbeiterparkplatz hinter dem Gull’n’Gulp mit dem Typen herumgeknutscht hatte, von dem ich ihr erzählt hatte, mein Bruder würde ihn aus einem Football-Trainingslager kennen. Natürlich wusste sie nicht, dass dieser Typ in Wirklichkeit Tommy Sullivan war.
Weil Tommy Sullivan, als sie ihn das letzte Mal gesehen hatte, über einen Kopf kleiner und alles andere als ein junger Gott gewesen war. Und weil ich ihr gesagt hatte, dass er ein Bekannter von Liam sei, den ich nicht näher kannte. Sie hatte keinen Grund, an meinen Worten zu zweifeln.
Ich spürte, wie sich das aus meinen eigenen Lügen geknüpfte Netz immer enger um mich zusammenzog. Aber die Wahrheit sagte ich Sidney trotzdem nicht. Ich bin ja nicht blöd! Wenn sie glaubte, der Typ, mit dem sie mich beim Knutschen erwischt hatte, wäre nur ein Bekannter meines Bruders, war das umso besser.
Natürlich würde sie die Wahrheit früher oder später herausfinden. Falls Tommy nicht gelogen und sich wirklich an der Eastport Highschool angemeldet hatte, würde sie spätestens nächste Woche am ersten Schultag mitbekommen, wer er wirklich war.
Und stinksauer auf mich sein.
»Ach so«, könnte ich versuchen, mich herauszureden. » Den Typen hast du gemeint. Ja, stimmt, das war Tommy Sullivan. Haha, dann war das
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