Wer im Trueben fischt
Mädchen, das zu viel trank, sich raufte und die ganze Welt sehen wollte?
Die S-Bahn war voll. Emma spürte die bösen Blicke, als sie sich mit ihrem Fahrrad hineindrängte. Sie presste ihr Bein gegen den Hinterreifen und hielt sich mit einem Arm an der Haltestange fest. Sie wollte nur noch nach Hause.
Im Hausflur war es still. Emma schloss ihr Fahrrad im Hinterhof an und fuhr in den zwölften Stock. An ihrer Tür klebte mit Tesa ein Zettel. Er war hellblau. Im Hintergrund ritt ein Pferd mit Flügeln auf einem Regenbogen.
Libe Emma, stand dort, ich bin wider da. Wollte dich besuchen. Kommst du morgen zum fernsehn? P.
Emma lächelte. Ja, dachte sie, fernsehen ist eine gute Idee. Sie schloss ihre Wohnung auf und ging hinein. Ihr Anrufbeantworter blinkte. Helenes Nummer wurde angezeigt. Emma zögerte. Sie sehnte sich danach, Helenes Stimme zu hören, aber sie wusste, dass sie ihrer Mutter nichts vormachen konnte. Sie würde spüren, dass sich etwas verändert hatte.
Emma wählte schnell, Helene nahm nach dem ersten Klingeln ab. Sie war fröhlich und wollte über den Brief vom Sender reden. Das müssen wir feiern, sagte sie. Was denn, fragte Emma. Das drohende Arbeitsverbot vom Rundfunkrat kam ihr vor wie vor tausend Jahren. Was ist denn, fragte Helene.
»Ich hab mit Schneider gesprochen.«
»Worüber?«
Über dich und Papa, wollte Emma sagen. Und dass die Dinge nicht immer so eindeutig sind. Aber sie brachte die Worte nicht heraus. Sie war zu müde. Sie hatte Angst, den einzigen Menschen zu verletzen, der immer an ihrer Seite war.
»Ich kann hier erst mal weiterarbeiten.«
»Ja«, sagte Helene. »Das habe ich mir gedacht. Vielleicht ist das auch besser so. Erst mal.«
»Ja.«
»Hast du sonst noch was? Du bist so komisch.«
»Ich bin müde.«
Sie redeten noch eine Weile, dann legte Emma auf. Sie strich über die Feder von Ida, die auf dem Esstisch lag. Ich rufe sie morgen noch mal an, dachte sie. Oder am Wochenende. Sie spürte, dass sie ihre Mutter jetzt anders sah. Aber das musste nicht so bleiben, sagte sie sich. Ich werde mit ihr reden. Und dann wird alles wie früher. Wenn ich nicht mehr so müde bin.
Am Morgen war sie früh wach. Sie wusch sich und zog sich an, dann fuhr sie nach unten. Sie ging eilig zum nächsten Zeitungskiosk und kaufte sich die Allgemeine . Ihr Magen krampfte sich zusammen, als sie die Medienseite überflog. Aber dann atmete sie auf. Der Artikel war nicht gedruckt. Schulenburg schien den Herausgeber überredet zu haben, die Geschichte fallen zu lassen.
Emma legte die Zeitung auf eine Parkbank und ging in ein Internetcafé. Sie hatte jetzt Hunger, einen Riesenhunger. Sie bestellte sich ein XL-Müsli und setzte sich damit vor einen Monitor. Während der Computer hochfuhr, rührte sie in ihrem Müsli.
Schneider hatte gesagt, Schulenburg ließ eine gute Geschichte nicht fallen. Wenn sie also jemals wieder ans Mikrofon zurückwollte, durfte ihre Recherche keine Fragen offenlassen.
Emma gab Steuerakte ein, Berlin 1934. Es dauerte eine Weile, bis sie das Archiv fand, in dem die Akten lagen.
E dgar Blume trommelte mit dem Schlüsselbund auf den Tisch. Die Tür zum Nebenraum war halb offen, Blume sah den Rücken von Hans Erkenschwick, er saß am Schreibtisch und schien etwas zu lesen. Blume trommelte stärker mit den Schlüsseln. Er hoffte, dass Erkenschwick sich umdrehte und über den Lärm beschwerte, damit er einen Grund hatte, ihn anzublaffen.
Seit zwei Tagen hatte er nichts mehr von Emma gehört. Bei ihrem letzten Telefongespräch war sie im Krankenhaus bei ihrer Nachbarin gewesen. Er war sich nicht sicher, ob sie ihn abserviert hatte. Ihre Stimme hatte traurig geklungen, so wie es sich anhörte, wenn man eine Geschichte beendete, aber ihre hatte ja noch nicht einmal angefangen. Aber vielleicht war sie auch nur in Sorge wegen der Nachbarin.
Sein Handy klingelte. Als er ihre Nummer sah, freute er sich, obwohl er sich vorgenommen hatte, erst mal abzuwarten.
»Blume?«
Sie antwortete sachlich, erzählte von einem Gespräch mit dem Waldreich von der Universität und einem Archiv. Er wusste, er sollte interessiert sein, aber ihr kühler Ton ärgerte ihn.
»Wenn nur Verwandte Einsicht haben, kann ich dir leider nicht helfen.«
Erkenschwick richtete den Oberkörper auf, Blume sah es aus den Augenwinkeln. Emma schwieg jetzt, dann sagte sie leise:
»Bitte. Ich glaube, es ist wichtig.«
Was ist wichtig, dachte Blume. Laut sagte er: »So wichtig wie dein Zeitungsmann in Zehlendorf,
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