Wer im Trueben fischt
hatte Tom davon erzählt. Carl ging es gesundheitlich nicht gut, sie scheuten eine weite Reise. Außerdem hofften sie, bald nach Deutschland zurückkehren zu können. Am Ende waren sie arm wie Kirchenmäuse, aber sie hatten den Stempel so gut wie sicher. Das Haus war verkauft, sie waren unterwegs. Und dann kam der Haftbefehl. Sie mussten untertauchen.«
»Was war passiert?«
Waldreich stützte sich auf die Fensterbank. Er presste die Lippen zusammen und schüttelte den Kopf. Emma beugte sich über das Aquarium. Die Fische darin, rot und blaugrün schillernd, schnappten noch immer nach den Leckerbissen, die der Professor ihnen hineingestreut hatte. Emma fuhr mit dem Finger an der Scheibe entlang.
»Es hat mit den jungen Fischen zu tun, nicht wahr?«
Es war still im Raum. Schließlich sagte er:
»Ich kann mit Ihnen nicht darüber reden.«
»Können Sie nicht, oder wollen Sie nicht?«
Waldreich drehte sich um. Schneller, als sie es ihm zugetraut hätte, war er am Tisch und stellte ihr Aufnahmegerät aus. Dann drehte er sich zu ihr um.
»Weil ich einmal darüber geredet habe. Und was immer Rosenberg mit dem Wissen angestellt hat, er war zwei Tage später tot.«
»Was wollen Sie mir erzählen, dass Sie nichts mit seinem Tod zu tun haben?«
Waldreich sah sie erschrocken an.
»Natürlich nicht! Sind Sie verrückt? Warum sollte ich ihn umbringen?«
Emma ging einen Schritt auf ihn zu.
»Vielleicht ist es ein schönes Gefühl, den Mann zu töten, der die eigene Familie zerstört hat.«
Er starrte sie an. Dann drehte er sich langsam um und setzte sich in seinen Stuhl. Es war, als würde die Luft aus ihm entweichen, so sehr sank er in sich zusammen. Emma setzte sich ihm gegenüber auf den Sessel. Und wartete ab. Nach einer Weile hob er den Kopf.
»Wie sind Sie darauf gekommen?«
»Erst war es Ihr Geburtsort. In einem Porträt stand, Sie seien aus einem Professorenhaushalt. Tom Rosenberg hat in seinem Buch ausführlich über diese Universität geschrieben, an der Professor Kühling lehrte. Aber ein Waldreich wird dort nicht erwähnt. Kein Wunder, denn es ist ja der Name Ihrer Exfrau. Also musste ich erst einmal Ihren Geburtsnamen herausfinden. Das war gar nicht so einfach.«
Er lächelte, aber seine Augen schauten an ihr vorbei ins Leere.
»Geboren wurden Sie als Hans Weydrich. Kein sehr häufiger Name. Ich suchte den Namen an der Universität Ihrer Heimatstadt. Aber ich fand ihn nicht.«
»Nein.«
»Also sah ich mir noch einmal näher das Umfeld von Professor Kühling an. Er war in den 60er Jahren an die juristische Fakultät gekommen und hatte Karriere gemacht. 1995, als Rosenbergs Buch erschien, wurde er mit Schimpf und Schande davongejagt. Er hatte all seinen Einfluss geltend gemacht, um zu verhindern, dass jüdische Kollegen aus dem Ausland an die Universität zurückkehren konnten. Aber das wissen Sie ja alles. Suchfunktionen sind eine praktische Sache. Ich suchte jeden Jahrgang nach dem Namen Weydrich ab. Ich fand wieder nichts. Aber dann ist mir etwas anderes aufgefallen. Können Sie sich denken, was ich merkwürdig fand, Professor Waldreich?«
Der Professor schaute hoch und sah sie an. Er war blass, seine Augen glänzten.
»Ja.«
»Ab Mitte der 60er Jahre gibt es einen Lehrstuhl weniger in der juristischen Abteilung. Überall in Westdeutschland werden die Universitäten ausgebaut, nur hier nicht. In den 70ern gibt es irgendwann sogar keine Leitung mehr im Institut.«
»Ab 1972, um genau zu sein.«
Emma schaute den Mann vor sich an. Er tat ihr leid. Sie nickte.
»Das Präsidium hat Ihren Vater 1995 aus allen Listen herausgestrichen. Es gab ihn praktisch nicht mehr an dieser Universität.«
Waldreich fuhr sich mit der Hand über die Augen und seufzte laut. Er sagte:
»Zu dem Zeitpunkt war er bereits zwei Jahre emeritiert. Sie hofften, dass sich der Skandal kleiner halten ließ. Rosenberg hatte nur Kühling namentlich erwähnt. Ein findiger Doktorand wäre aber ganz schnell auch auf die Spur meines Vaters gekommen. Ein einzelnes schwarzes Schaf ist zu verschmerzen. Die ganze Leitung antisemitisch, davon hätte sich das Institut nicht mehr erholt.«
»1995 mag man noch gedacht haben, dass so ein Täuschungsmanöver funktioniert. Aber heute stellt jeder ins Netz, was er will. Man findet alles, wenn man lange genug sucht.«
»Wie haben Sie ihn gefunden?«
»Ein banaler Trick. Ich bin über die Bilder gegangen. Ein Student Ihres Vaters, ein Notar in Oberbayern, bekam zum Fünfzigsten von seinen
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