Wer ist eigentlich Paul?
irgendwann gar nichts mehr gesagt und nur tief getroffen an meinem Caipi genuckelt. Nicht, dass er das bemerkt hätte. Dieser gefühllose Klotz.
Gestern Abend, Samstag, ging es deprimierend weiter. Ich war auf einer Party bei «meinen Jungs», einer chaotischen, aber liebenswerten WG in Schwabing, die schon drei Putzfrauen in den Wahnsinn getrieben hat. Sie hatten Besuch von einem Mädel aus der Provinz, die wahrscheinlich eingeschult wurde, als ich meinen ersten Vollrausch erlebte … Aber hübsch, okay. Das Gebalze ging los, und die Jungs zogen alle Register. Cocktailmixen, Bierflaschen-lässig-mit-dem-Feuerzeug-aufschnipsen, Gitarre spielen, Zigaretten drehen, verärgerte Nachbarn beruhigen, spanischsprachiges Liedgut zelebrieren und so weiter, die ganze Palette. Am Ende machte Tom das Rennen. Ich persönlich vermute den Grund ja darin, dass er in der Küche voller Leute den strategisch besten Platz hatte, was die räumliche Nähe zu der Kleinen betraf. Bernd nämlich klemmte zwischen Kühlschrank und einem betrunkenen Kollegen, der «Möööönsch, geile Paaady hier» grölte und ihm herzhaft auf die Schulter haute. Anyway. Ich ging irgendwann, aber ich weiß, wie es enden wird. Die Kleine wird sich im Kitzinger Jugendzimmer die Augen aus dem Kopf weinen, während Tom eine Runde joggen geht und später beim Betrachten der Partyfotos zu Bernd rüberfeixen und eines von diesen männertypischen Siegeszeichen machen wird. Nicht, dass Tom kein feiner Kerl wäre. Er ist ein Freund, und ich schätze ihn sehr. Er hat es, wie so viele seiner Artgenossen, einfach nur drauf, Spaß ohne Gefühlsrisiko zu leben.
Eigentlich beneidenswert. Wäre ich ein Mann, würde ich jetzt mein Wochenende wirklich genießen und in der Sauna nach Frischfleisch Ausschau halten, statt sehnsüchtig an Paul zu denken und mich zum tausendsten Mal zu fragen, warum er sich in Schweigen hüllt. Oh, apropos Sauna. Ich muss los.
DIENSTAG, 13. AUGUST 2002 – SMÖRREBRÖD
Wie gerne würde ich von einem Happy End mit Paul berichten. Doch es gibt leider keines. Er hat sich nämlich nicht gemeldet. Gestern habe ich in einem Anfall blinder Wut mein Handy an die Wand geschmissen, sodass ich endlich vorm Warten auf eine SMS meine Ruhe hatte. Himmlisch.
Eine Stunde später kam ich – zufällig – am Nokia-Shop vorbei, als ich einen neuen Weg zur U-Bahn ausprobierte. Nicht, dass ich den entspannenden handylosen Zustand beenden wollte. Aber man kann sich ja mal informieren!
Mist, wo muss denn da die SI M-Karte rein? Und wie herum? Ah, okay. Ich habe ein neues Handy! Hurr … äh, ja.
Und es klingelt auch schon! «Hallo?» Niemand. Es klingelt weiter. Es ist das Festnetz-Telefon.
«Hallooo?»
«Marie, bist du das?»
«Beate, Schatz, wer sonst sollte bitte in meiner Wohnung ans Telefon gehen?»
«Hat er sich gemeldet?»
«Hast du einen Auftritt?»
Das war gemein. Beate ist Sängerin – eine gute Sängerin, doch leider besteht ihr Publikum meist aus Duschgel, Zahnbürste und genervten Nachbarn.
«Mach dich nicht verrückt», rät sie mir und übergeht die Spitze, «das ist er doch nicht wert!»
«Nein, wirklich nicht. Eigentlich ist er gar nicht so umwerfend …»
Es gibt wirklich tollere Männer als Paul. Er hat ganz normale blonde Haare, die ihm bestimmt bald ausgehen werden. Seine Augen sind von ganz normaler grüner Farbe mit kleinen goldenen Pünktchen drin, wenn er lacht. Sie werden dunkler, wenn er ernst schaut. Und wie gut die blonden, dichten Wimpern dazu passen, wenn er die Augen schließt beim Küssen … Dann ist da diese kleine, bogenförmige Narbe am Kinn. Woher er die wohl hat? Und seine Stimme. Diese tiefe, warme und wahnsinnig männliche Stimme. «Darf ich dich mal küssen?», fragte diese Stimme, nachdem er mich circa drei Minuten lang mit einer Mischung aus Verwunderung, Begeisterung und Zärtlichkeit angeblickt hatte …
«Mariiiiiie!!!»
«Beate, ja, was ist denn?»
«Ich hab dich was gefragt!»
«Jaja. Ich meine: ja, klar, sowieso!»
«Marie.»
«Ja?»
«Ja, klar, sowieso ist keine adäquate Antwort auf die Frage, ob ich nun das rote Sofa von Segmüller, das beige von Who’s Perfect oder das graue von IKEA kaufen soll.»
Es gibt viele Fehler, die man während der Sommerferien an einem Spätnachmittag in München machen kann. Einen Parkplatz am Viktualienmarkt suchen ist einer, ein öffentliches Freibad besuchen ein anderer. Aber der größte heißt IKEA. Nach zwei Stunden «Der
Weitere Kostenlose Bücher