Wer Ja sagt, muss sich wirklich trauen
derjenige, der sich um alles andere gekümmert hatte.
Er erreichte die Vorderseite des Hauses. Gram und er hatten es drei Sommer zuvor gestrichen – in Pastelltürkis mit hellgrau abgesetzten Ecken. Gram wollte es ursprünglich lila streichen, aber das hatte er ihr ausgeredet. Nun wünschte er, er hätte ihr ihren Willen gelassen. Genau wie er sich wünschte, dass er ihr nie widersprochen oder nie versucht hätte, ihr ein schlechtes Gewissen zu machen, weil sie ihm keine neue Spielkonsole kaufte und andere Sachen. All das bereute er nun.
Er umklammerte den untersten Ast des höchsten Baums im Vorgarten, einem Ahorn, von dem Gram immer behauptet hatte, er sei noch älter als sie. Als Toby sich auf den Ast schwang, scheuerte er sich das Knie an der Rinde auf, aber er kletterte weiter, denn je höher er kam, desto weiter weg war er von ihr und den Bienen und den Gedanken über die Frau im Remington-Haus. Und desto näher war er Gram und seinem Dad im Himmel. Seiner Mom auch, aber die hatte ihn verlassen, als er ein Baby war, und er dachte nicht oft an sie. Gram sagte immer, sie habe ihre Tochter geliebt, aber sie sei irgendwie nutzlos gewesen.
Gram und seine Mutter waren weiß, aber er war schwarz wie sein Vater, und sosehr ihm Gram auch fehlte, im Moment vermisste er seinen Dad mehr. Toby war vier Jahre alt gewesen, als sein Dad starb. Sein Dad hatte als Höhenkletterer gearbeitet, was einer der gefährlichsten Jobs der Welt war, da konnte man jeden fragen, und er war beim Versuch, seinen Kollegen zu retten, der an einem riesigen Funkmast in der Grand Traverse Bay gehangen hatte, tödlich verunglückt. Es war Winter gewesen, ein paar Grad unter null, und es hatte einen Schneesturm gegeben. Toby würde alles hergeben, was er besaß – er würde sich sogar einen Arm oder ein Bein abhacken, wenn sein Dad dafür noch am Leben wäre.
Lucy entdeckte in der Garage ein teures Mountainbike und im Bootshaus ein schickes Kajak, beides zu neu, um Hinterlassenschaften der Remingtons zu sein. Nachdem sie herausfand, dass der Weg in die Stadt nicht annähernd so kompliziert war, wie sie nach ihrer Irrfahrt am ersten Abend geglaubt hatte, benutzte sie das Rad, um einzukaufen. Charity Island war offenbar alle möglichen schrägen Leute gewohnt, sodass Lucy mit ihren orangefarbenen Strähnen, ihrem Nasenring und den Springerstiefeln nicht viel Aufmerksamkeit erregte.
Nach ein paar Tagen setzte sie mit der Fähre zum Festland über, um ihren Mietwagen abzugeben. Sie nutzte die Gelegenheit und kaufte sich neue Anziehsachen sowie einige hippe Einmal-Tattoos.
Nach ihrer ersten Woche im Haus hatte sie die Küche von oben bis unten geputzt. Jedes Mal, wenn sie den Raum betrat, hasste sie den großen Tisch ein Stück mehr. Er war nicht nur scheußlich und viel zu groß für die Essecke, sondern zudem in einem hässlichen Mintgrün lackiert, das zu der Wandfarbe passen sollte, was aber nicht der Fall war. Lucy hatte sogar Brot gebacken.
Abgesehen davon, dass sie hin und wieder einen Blick auf Toby erhaschte, der sie vom Wald aus beobachtete, hatte sie keine Ablenkung, was eine perfekte Voraussetzung dafür war, mit dem Manuskript für ihren Vater zu beginnen. Ihre Lobbyarbeit würde sie nicht vor September wieder aufnehmen.
Ihr Vater war ein erfahrener Journalist, und er hatte ursprünglich beabsichtigt, das Buch allein zu schreiben, aber nachdem er einige Monate daran gearbeitet hatte, kam er zu dem Schluss, dass es bereichernd wäre, verschiedene Sichtweisen auf Nealys Leben aufzuzeigen, und jede davon sollte einen anderen Aspekt hervorheben. Also hatte er Nealys Vater gebeten, ein Kapitel zu schreiben, wie auch Terry Ackerman, Nealys langjährigen Berater. Aber vor allem war er an Lucys Perspektive interessiert. Sie hatte Nealys politische Karriere aus nächster Nähe erlebt, schon als Nealy zum ersten Mal für den Senat kandidierte bis zu ihrer Präsidentschaft, und sie konnte etwas darüber beisteuern, wie es war, Nealy als Mutter zu haben. Lucy wollte sich die Gelegenheit nicht entgehen lassen, aber bisher hatte sie noch kein einziges Wort zu Papier gebracht. Der Abgabetermin war zwar erst im September, aber jetzt wäre der perfekte Zeitpunkt, um anzufangen.
Im Arbeitszimmer hatte sie einen Laptop entdeckt. Da auf der Festplatte jegliche persönlichen Daten gelöscht waren, hatte sie keine Skrupel, ihn zu benutzen. Nach dem Frühstück ging sie in den Wintergarten, machte es sich auf einer der Liegen bequem und ließ ihre
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