Wer Liebe verspricht
gezielten Anspielungen nicht länger mit der Verachtung strafen, die sie verdienten – nicht nach Arvind Singhs Warnung. Wenn Peter Barstow sich Gedanken machte, dann taten es vielleicht auch andere.
Auch Raventhorne?
*
»Ja, ja«, brummte Sir Joshua gereizt, »natürlich muß die Taufe hier stattfinden. Bridget wäre außer sich, wenn du das nicht tun würdest.«
Er beantwortete damit eine Frage, die Olivia ihm vor einigen Tagen gestellt hatte. »Danke, Onkel Josh. Ich … wir haben Onkel Arthur gebeten, Pate zu sein.«
»Zu etwas anderem taugt er auch nicht, seit er auf seinem faulen Hintern sitzt und nicht mehr nach Kanton fährt!« Er legte die Stirn in Falten und versank in seiner eigenen Welt.
»Du willst diesen Birkhurst heiraten, hast du gesagt, nicht wahr?«
»Ja, Onkel Josh.«
»Und seine Mutter frißt doch wie ein Scheunendrescher, wenn ich mich recht erinnere?«
Olivia mußte lächeln. »Ja, Onkel Josh.«
»Und dieser Birkhurst hat die Angewohnheit, in fremden Gärten seinen Rausch auszuschlafen?«
»Manchmal, Onkel Josh.«
Er sah sie plötzlich ernst an. »Olivia, weißt du wirklich, was du tust?«
»Nein, Onkel Josh«, antwortete sie traurig, »das weiß ich nicht so genau.«
»Also, ich habe Bridget nicht nur einmal, sondern unzählige Male gesagt, die kleine Estelle kommt nur über meine Leiche ins Internat. Und wenn diese blöde Frau mit den schlechten Zähnen und den Schuppen nicht das richtige Kindermädchen für Est …« Er hob streng den Finger und ging schlurfend und murmelnd davon.
Olivia folgte mit den Augen der gebeugten, hageren Gestalt, die in ihre eigene Welt eingeschlossen und nur noch eine Karikatur des Mannes von früher war, und kämpfte mit dem Zorn. Estelle war beinahe ein Jahr lang weg – und immer noch kein Wort von ihr für den Vater, der sie liebte, und den sie zu einem Schatten seiner selbst gemacht hatte. Verwöhnt von ihrem Liebhaber saß sie in dem luxuriösen Haus in London. War sie denn immer noch so vernarrt in ihn, daß sie nicht ein einziges Mal an ihre alten, hinfälligen Eltern dachte? In ohnmächtiger Wut, der sie nur noch selten nachgab, ging Olivia in das Anrichtezimmer und bereitete ihrem armen Onkel ein leichtes Mittagessen – ein gevierteltes gekochtes Ei, mit Butter bestrichenen Toast und Babulals Spezialität: mit Marmelade gefüllte Pfannkuchen. Ihr Zorn hatte sich noch nicht gelegt, während sie alles ordentlich auf ein Tablett stellte und dem getreuen Rehman knappe Anweisungen gab. Dann nahm sie das Tablett mit dem bescheidenen Mahl und ging in das Eßzimmer, um Essig und Öl zu holen.
Eine dünne Staubschicht bedeckte alles in dem eindrucksvollen Raum, in dem früher einmal so viele glänzende und ausgelassene Burra Khanas stattgefunden hatten. In den Ecken hingen Spinnweben, der prächtige Kristalleuchter funkelte nicht mehr und die großen Ölgemälde hingen schief und staubig an den Wänden. Olivia stellte das Tablett ab, nahm aus einem natürlichen Reflex heraus einen Staubwedel und entfernte die Staubflocken von einem Stuhlkissen. Dann richtete sie mit Hilfe eines Hockers die Bilder an den Wänden wieder gerade. In einer Ecke, von allen anderen abgesondert, hing das Porträt der grimmigen, hochmütigen und ewig mißbilligend blickenden Lady Stella Templewood. Es wirkte noch trostloser als alle anderen. Mit Rücksicht auf die Gefühle ihres Onkels nahm Olivia ein Staubtuch und wischte das Bild behutsam sauber, was offenbar eine Ewigkeit nicht geschehen war. Auf dem Hocker stand Olivia zum ersten Mal der herrischen Mutter von Sir Joshua in Augenhöhe gegenüber. Sie runzelte die Stirn und betrachtete das Gesicht genauer. Ihre Hand bewegte sich nicht mehr. Lange blieb sie bewegungslos dort stehen und starrte auf das Bild.
Langsam bekam sie am ganzen Körper eine Gänsehaut, und ihr wurde eiskalt. Das Blut wich aus ihrem Gesicht, und sie wurde leichenblaß. Ihr Herzschlag stockte und setzte dann aus. Benommen stieg sie unsicher von dem Hocker, ohne es zu bemerken. Um nicht in Ohnmacht zu fallen, klammerte sie sich an eine Stuhllehne. Sie war so vor den Kopf geschlagen, daß sie nicht einmal auf den Gedanken kam, sich zu setzen. Sie merkte nicht, daß Rehman das Tablett holte und zu Sir Joshua ins Arbeitszimmer trug. Sie vergaß, daß sie versprochen hatte, ihm beim Essen Gesellschaft zu leisten. Olivia hatte alles vergessen.
Sie dachte nur noch an das Porträt und kämpfte mit dem Schock der Enthüllung einer Toten.
*
Aber als
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