Wer Liebe verspricht
gebrochen …, das Rückgrat verletzt hatte oder sogar das Gesicht verunstaltet war …? Zitternd vor Angst eilte Lady Bridget um den zweistöckigen Bungalow zum Vorgarten, ohne darauf zu achten, daß der Saum ihres Kleides durch Pfützen und feuchte Erde schleppte. Sie rechnete mit dem Schlimmsten, hastete um die letzte Ecke und blieb wie angewurzelt stehen.
Olivia hatte sich keineswegs das Rückgrat gebrochen. Sie war gerade dabei, aus dem Graben hinter der Casuarinahecke zu klettern, die den Rasen von der Auffahrt trennte. In diesem Graben sammelte sich das Regenwasser, das zu einer dicken, braunen Soße geworden war, die an Olivia klebte. Auf der anderen Seite der Hecke stand Jasmine, die weiße Stute. Der Sattel hing schief, und die Zügel waren wie Luftschlangen um ihren Hals geschlungen. Sie wieherte leise und entschuldigend. Olivias neuer Reithut (aus London und erst in der letzten Woche für eineinhalb Rupien bei Whiteaway Laidlaw gekauft) trieb im schlammigen Wasser langsam davon; es lohnte sich nicht, ihn zu retten. Aber noch schlimmer war, daß der Sohn des Stallburschen, dieser freche Kerl, Olivias Hand hielt und versuchte, ihr beim Herausklettern zu helfen. Die beiden schienen die Sache auch noch lustig zu finden!
Lady Bridgets Erleichterung verwandelte sich sehr schnell in Ärger, und ihre Lippen wurden schmal. Trotzdem blieb sie stumm stehen. Es war unvorstellbar, einen Familienangehörigen vor den Dienstboten auszuschimpfen, ganz gleich, wie groß das Vergehen und wie schwerwiegend der Grund auch sein mochte. Sie verscheuchte den unverschämten Bengel, indem sie in die Hände klatschte, und näherte sich grimmig dem Ort des Mißgeschicks. »Bist du verletzt, Olivia?«
Olivia kletterte über den Rand des Grabens und blieb auf dem aufgeweichten Rasen sitzen. »Ich nicht, nur mein Stolz, Tante Bridget.« Sie lächelte kläglich unter dem Schlamm, der auf ihrem Gesicht zu trocknen begann. » Mist ! Ich war so verdammt sicher, daß ich es noch mal schaffen würde!«
Lady Bridget wurde bei diesen Kraftausdrücken bleich, beschloß jedoch, Olivias ungehöriges Fluchen zu überhören. Gerechterweise mußte man sagen, die fürchterliche Redeweise des Mädchens hatte sich beträchtlich gebessert. Und in acht Wochen konnte man kaum Wunder erwarten, wie es bei einem anständig erzogenen englischen Mädchen vielleicht möglich gewesen wäre. »Kannst du laufen?«
»Ich glaube schon. Vermutlich sind nur die Knie aufgeschürft. Ich habe schon Schlimmeres erlebt, das kannst du mir glauben.« Olivia stand unsicher auf und hob den nassen Rock hoch, um die Stelle zu begutachten, wo sie sich möglicherweise verletzt hatte. »Bucktooth sagt immer, es kommt nur darauf an, richtig zu fallen. Ich nehme an, als Rodeoreiter sollte er es wissen.« Sie lachte, warf ihrer Tante ein bezauberndes Lächeln zu und begann, den Rock auszuwringen.
Lady Bridget fand den Ausspruch dieses ›Bucktooth‹ weder amüsant noch beeindruckend. Ein Schauer lief ihr über den Rücken. Sie erkundigte sich bewußt nicht danach, was Bucktooth außer Rodeoreiter – was immer das sein mochte – noch war. Der erschreckende Anblick von Olivias nackten Beinen nahm ihre Aufmerksamkeit voll und ganz gefangen. Sie vermied es bewußt, auf die Beine zu blicken, doch sie sah, daß ihre Dienstboten diese Zurückhaltung keineswegs teilten. Sie hatten noch nie die Beine einer weißen Mem gesehen – waren nicht einmal sicher, ob sie welche hatte – und betrachteten Olivias deshalb mit unverhüllter Neugier. Den Sohn des Stallburschen überraschte die plötzliche Enthüllung so sehr, daß er beinahe rückwärts in den Graben gefallen wäre.
Lady Bridget handelte schnell. »Olivia, geh sofort nach oben und laß dir von Estelles Aja ein heißes Bad bereiten. Ich komme nach, sobald …« Sie drehte sich um und sah zu ihrem Schrecken, daß Babulal sich nicht mehr unter den Zuschauern befand, »… sobald ich mit den Vorräten fertig bin.« Dann stellte sie sich mit finsterer Miene zwischen Olivia, die unbedeckten Knie und die neugierige Gruppe.
»Mama, was ist denn geschehen …?« Estelle lief mit ihrem jungen King-Charles-Spaniel, der aufgeregt bellte, erschrocken die Stufen des Säulenportals herunter. Bei Olivias Anblick verstummte sie, starrte ihre Cousine ungläubig an und lachte dann laut. »Olivia, ich habe es dir ja gesagt. Ich habe dir gesagt, das erste Mal war es reines Glück. Ich habe dir gesagt, Jasmine würde die Hecke kein zweites
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