Wer Liebe verspricht
Hoffnungslosigkeit nicht mehr gewachsen, ebensowenig wie der Erkenntnis, daß es ihr unmöglich war, sie auch nur um eine Spur zu mildern. Wieder einmal stand ihr sein Opfer in der ganzen Tragweite vor Augen, und sie erkannte, wie ungerecht ihre Forderungen an ihn waren. Heftig zog sie seine Hände an sich und küßte sie. »Ich kann es nicht ertragen, dich in dieser Verfassung zu sehen, Freddie! Was geschehen ist, kann nicht ungeschehen gemacht werden. Aber ich tue alles, alles, um dir zu helfen und deine Qualen zu verringern. Ich werde deine Güte nie vergessen, deine …«
»Güte!« Er entriß ihr seine Hände und rief außer sich: »Güte, Freundlichkeit, Freundschaft, Dankbarkeit …! Ich habe dir nicht meine ›Güte‹ gegeben, ich habe dir mein Herz, meine Liebe, mein Leben geschenkt. Und von dir bekomme ich dafür bestenfalls Dankbarkeit und schlimmstenfalls … Mitleid. Nein, leugne es nicht, ich habe es in deinen Augen gesehen. Du hast mir gegenüber Schuldgefühle! Du fühlst dich mir gegenüber zu Dank verpflichtet, und nur deshalb erträgst du mich im Bett. Du ekelst dich vor mir, Olivia! Gib es zu!« Er lief erregt auf und ab. Dann blieb er stehen, und als sie widersprechen wollte, hob er die Hand. »Nein, lüge nicht, Olivia. Spiel mir nichts mehr vor. Auch ein Mann wie ich spürt das – eine Geste, ein schiefes Lächeln, ein Stirnrunzeln, ein unbewußter Blick …« Er brach ab und ließ sich in einen Sessel fallen. Dann sagte er verzweifelt und tonlos: »Er hat dich nicht vergewaltigt! Du hast dich ihm hingegeben, weil du ihn geliebt hast! Du liebst ihn immer noch!«
Er hat seine Unschuld verloren. Ich habe sie ihm genommen …
»Ich liebe ihn nicht, Freddie. Ich habe ihn nie geliebt, nie … Ich schwöre es dir!«
Sie wollte wenigstens einige der zerstörten Illusionen für ihn retten und ihm mit kümmerlichem Trost helfen. »Du liegst mir wirklich am Herzen. Wenn ich dir doch nur beweisen könnte, wie sehr ich diesen einen Fehltritt bedaure …!« Ihre Stimme versagte.
Freddie sah einen Augenblick lang in das tränenüberströmte Gesicht, das zu ihm aufblickte. Dann nahm er ihre Hände, hob sie hoch und küßte sie kurz auf eine Wange. »Olivia, in vieler Hinsicht bin ich ein Dummkopf. Das weiß ich und gebe es auch zu. Aber das Herz besitzt einen eigenen, unfehlbaren Verstand. Beim besten Willen, ich glaube dir nicht.« Mit einem sonderbaren Lächeln drehte er sich um und ging zur Tür. »Nein, ich glaube dir nicht.«
*
Von diesem Tag an kam Freddie nie mehr nüchtern nach Hause. Er ging auch nicht mehr in das Kinderzimmer, um Amos anzusehen.
Amos gedieh prächtig und ahnte auf wunderbare Weise nicht, daß er im Zentrum eines Sturms zur Welt gekommen war. In seiner glücklichen Unschuld waren ihm die Kümmernisse der Welt noch entrückt, und sein begrenztes Universum begann und endete mit den stündlichen Freuden an der Brust seiner Mutter. Er protestierte laut und heftig, wenn ihm etwas nicht gefiel. Er wurde von Tag zu Tag größer und liebenswerter. Seine großen, grauen Augen blickten neugierig und standen niemals still. Wenn er sich freute, hallte sein glückliches Lachen durch das große Haus. Für Olivia wurde er zum Mittelpunkt ihres Daseins und gab ihm seinen Sinn. Er war ein Teil von ihr und ihr ein und alles.
»Er hat die ungewöhnlichen Augen meiner irischen Großmutter«, erklärte Olivia schlagfertig Mary Ling. »Sie hatte auch perlmuttgraue Augen und rabenschwarze Haare. Ist das nicht wunderbar?«
Allmählich fielen ihr diese Art Lügen leichter. Natürlich war Mary Ling leichtgläubiger als der tägliche Strom der Besucher, die Geschenke brachten und das Kind mit forschenden und prüfenden Blicken durchbohrten. Aber auch dieser Situation war Olivia mit ihrem Einfallsreichtum (und ihrer Unaufrichtigkeit!) wie immer gewachsen, denn das Lügen war inzwischen zu ihrer zweiten Natur geworden. War Amos wach, wurde er unter dem Vorwand, er sei nörgelig oder habe eine Magenverstimmung, nicht vorgeführt. Und wenn er schlief, zeigte man ihn aus sicherer Entfernung mit einem eng anliegenden Häubchen auf dem Kopf. Wenn sich ein paar Haare zeigten, wurde die irische Großmutter bemüht. Und insgesamt kam sie mit diesem Trick gut über die Runden. Erst als Dr.Humphries zu der unvermeidlichen Untersuchung erschien, geriet Olivia in Panik und tat etwas, worüber sie sich anschließend entsetzte. Sie betäubte Amos mit etwas Opium.
»Hmmm! Ein strammer Bursche, nicht
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