Wer liebt mich und wenn nicht warum
gute Eigenschaften habe?
Ich muss diesen Brief jetzt ganz schnell beenden, denn Tom fährt gleich rüber aufs Festland und holt einen Arzt. Er sollden Brief mitnehmen. (Tom natürlich, nicht der Arzt! Der soll meinen Fuß begutachten.)
Bis hoffentlich nicht so bald
Lilia
P.S. : Falls doch niemand anruft – BITTE KEIN WORT DAVON!!!
8.45 Uhr Die Kommission hat die Entscheidung über meinen Verbleib auf der Insel vertagt. Harri will erst wissen, was der Arzt sagt. Er befürchtet nämlich, dass der Fuß gebrochen sein könnte, weil er so dick ist. Dann muss ich in ein Krankenhaus. Und mit mir reden wollen die alle auch erst noch, bevor sie sich entscheiden. Sie möchten genau wissen, warum ich das gemacht habe und ob ich meinen Unfall wirklich selbst verschuldet habe.
Also, gebrochen ist der Fuß bestimmt nicht. Ich habe damit ja jetzt schon Erfahrung. Das Band ist wieder überdehnt, sonst nichts, und er ist nur so dick, weil ich ihn die ganze Nacht lang nicht gekühlt habe. Da ist mir nämlich was dazwischengekommen.
Aber bei der Schuldfrage sieht es schlecht für mich aus. Es war wirklich TOTAL bescheuert, Yksi zu suchen. Was wollte ich denn tun, wenn ich sie gefunden hatte? Ihr bei der Geburt die Klaue halten oder was?
Na ja, genau genommen dachte ich, dem Kälbchen sei vielleichtetwas passiert. Ich sah es schon vor mir, einsam und verletzt irgendwo im Gras, Yksi verzweifelt bei ihm wachend. Ich wollte die beiden retten, weiter habe ich nicht gedacht.
Ich wusste ja nicht, dass Auerochsenkühe ihre Jungen in den ersten Tagen fernab der Herde in hohem Gras verstecken. Sie stehen oder liegen dann nicht nah bei ihren Kälbern, sondern beäugen sie von fern, um nicht durch ihre weithin sichtbare Anwesenheit Feinde auf das Kleine aufmerksam zu machen. Wenn aber doch ein Feind naht, werden die sanften Kühe zu wahren Löwenmüttern.
Ja. Ich wusste das nicht, aber ich hätte es wissen müssen. Es war mir schließlich bekannt, dass Yksi schwanger war. Als Kuhbeauftragte hätte ich mich darüber informieren müssen, wie Kühe sich vor, während und nach der Geburt verhalten. Das wäre einfach mein Job gewesen.
Aber ich hatte ja den Kopf voll Selbstmitleid und voll Gedanken an Tom. Ich. Bin. Schuld.
Aber ich will nicht nach Hause. Jetzt abzureisen, das wäre ungefähr so, als würde man ein Buch vorm letzten Kapitel zuklappen. Ausgerechnet jetzt!!!
9.00 Uhr Kreiiiiiiisch, ich bin ja sooo glücklich!!! Tom hat eben die Briefe geholt und er hat – oooh, nein, halt, stopp! Ich hatte mir vorgenommen, alles chronologisch aufzuschreiben. Ich unterdrücke schon den ganzen Tag den Wunsch, die Geschichte in umgekehrter Reihenfolge zu erzählen und mit dem Ende anzufangen, und dabei bleibe ich auch. Ich will das Ganze beim Schreiben nämlich gleich noch mal von Anfang bis Ende durchleben. Die Höhen und die Tiefen!
10.30 Uhr Hö, hö, hö. Es gibt keinen Arzt, der am Samstag einen Hausbesuch auf dieser Insel machen kann und will. Wenn man einen Unfall hat, ruft man hier entweder einen Rettungshubschrauber, aber dafür müsste man eigentlich schon fast klinisch tot sein, oder man schleppt sich selbst ins nächste Krankenhaus. Mein Fuß ist aber schon deutlich abgeschwollen und deswegen warten wir jetzt bis morgen. Leider müssen Tom und Maiken heute arbeiten. Vor mir liegt also ein langer, einsamer Tag im Bett. Zum Glück habe ich viel nachzutragen.
10.35 Uhr Erst sah es ja gestern so aus, als würde ich Yksi gar nicht finden. Ich bin eine Stunde lang kreuz und quer über die Insel gelaufen und habe all die Trampelpfade abgeschritten, die die Auerochsen geschaffen haben, aber nirgends sah ich auch nur eine Hornspitze von ihr.
Am äußersten westlichen Ende der Insel gab ich auf und kehrte um. Ich sammelte noch ein paar Nixentränen am Kiesstrand, denn diese abgeschliffenen grünen und weißen Glasstücke wollte ich Tom bei der nächsten Gelegenheit in die Tasche mogeln, als Friedensangebot.
Danach ging ich in die Richtung, in der ich unser Haus vermutete. Obwohl ich ganz am anderen Ende der Insel war und noch fast eine Stunde Fußweg vor mir hatte, beeilte ich mich nicht. Maiken hatte nämlich den gestrigen Freitagabend zum »Jemawawi« ernannt. Das Wort ist eine Eigenkreation von ihr und heißt nichts anderes als »Jeder macht, was er will«. Und das bedeutet: Sie und Helge hatten ausnahmsweise mal kein Abendprogramm organisiert. Nicht mal ein gemeinsames Essen war geplant. Auf dem Herd sollte ein
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