Wer lügt, gewinnt
in den Fünfzigern, sah aus wie ein Pfau, und der Pfau hatte recht, ich bin seiner Meinung. Möchtest du ein süßes Leben haben? Du mußt mich lieben. Liebst du mich? Oder bist du nur scharf darauf, mit mir zu vögeln, wie am Anfang? Los, antworte, sagte Ingrid, indem sie mich am Haar zu sich zog und auf den Mund küßte. Ich liebe dich, sagte ich. Nach meiner Rechnung, sagte Ingrid, liebst du mich, seit du reich geworden bist. Erst, seitdem du mit dieser durchgeknallten Irren in dieses kitschige Haus gezogen bist. Seit März. Vorher haben wir miteinander gevögelt, ich habe gesagt, ich liebe dich, und du hast gesagt, ich liebe es, mit dir zu vögeln. In der Umzugswoche habe ich zu dir gesagt, ich liebe dich, und du hast geantwortet, ich liebe dich. Ich stand auf, fing an mich anzuziehen. Wohin gehst du? fragte Ingrid. Iß mit mir zusammen zu Abend, ich mach dir Kürbispüree.
Ich erklärte ihr, daß ich nicht konnte, Fúlvia hatte mich gebeten, zu Hause zu Abend zu essen.
Wenn du deiner Lucrezia Borgia schon gesagt hast, daß du dich trennst, weshalb mußt du dann mit ihr essen?
Es gefiel mir nicht, wenn Ingrid auf diese Weise über Fúlvia redete. Ich war immer noch eng mit Fúlvia verbunden, wir waren weiterhin miteinander vereint, Fúlvia und ich, es war natürlich nicht mehr die große Liebe, nach unserer Hochzeit wurde alles anders, es war auch nicht der Sex, es war eine andere Art von Band, eher eine Fessel als ein Band, die Dinge erlahmten, zuerst verloren sie ihren Reiz, dann gingen wir dazu über, die Worte abzuwägen, dann verschwand dieses wahnsinnige Verlangen, miteinander ins Bett zu gehen, und dann kam die Routine, es blieb nur ein Rest von Zuneigung, ein Rest, Respekt, Routine, mehr nicht. Eine Leiche im Gepäck wiegt schwer. Aber ich hatte Fúlvia gern, ich hatte sie wirklich gern, ich war ihr zärtlich zugetan.
Deine schlangenzüchtende Gattin, sagte Ingrid, muß wissen, daß ihr euch in der Trennungsphase befindet, sagte sie, und Ehepaare essen, wenn sie sich trennen, nicht gemeinsam zu Abend, er ißt mit seiner Freundin, mit seiner Geliebten, die in Kürze Besitz vom Thron ergreifen wird, und die Ex muß sehen, wo sie bleibt, soll sie doch mit ihren Schlangen zu Abend essen, sie liebt ihre Schlangen doch so, oder? Ja, das tut sie, sagte ich, und ich auch, Schlangen sind überaus spannend. Ich hasse Schlangen und Krokodile, antwortete Ingrid. Ich hasse alles, was kriecht. Weißt du, was Mirna mir erzählt hat? Deine Frau bezeichnet mich als teutonische Kuh. Lucrezia ist nicht mal einfallsreich. Ich habe vom Typ her eher etwas Pferdehaftes. Sie könnte mich doch als teutonische Stute bezeichnen.
Ich küßte Ingrid, sie zog mich erneut ins Bett, setzte sich auf mich drauf und sagte, deine teutonische Stute muß dir etwas zeigen.
30
São Paulo, 22. Januar. Recanto da Paz. Samstag.
José, Du undankbarer Sohn, heute sende ich Dir Jakobus, den Wächter der Zunge. »… Auch die Zunge ist ein Feuer, eine Welt voll Ungerechtigkeit. So ist die Zunge unter unsern Gliedern: sie befleckt den ganzen Leib und zündet die ganze Welt an und ist selbst von der Hölle entzündet. Denn jede Art von Tieren und Vögeln und Schlangen und Seetieren wird gezähmt und ist gezähmt vom Menschen, aber die Zunge kann kein Mensch zähmen, das unruhige Übel, voll tödlichen Giftes.«
Laß es Dir gutgehen. Deine Dich liebende Mutter. Rosário de Deus.
Vom Kopfende des Tisches aus, wo ich saß, bemerkte ich die vollendete Plazierung der Bestecke. Das weiße Leinentischtuch, die Servietten, Gläser für Wasser und Wein, Vasen mit Blumendekoration, und ich hier, in Erwartung der Köstlichkeiten, absolut ohne jeglichen Appetit. Woran denkst du? fragte Fúlvia, als sie mit einem Tablett in den Händen, auf dem zwei dampfende Schüsseln und der Salat standen, das Eßzimmer betrat.
An nichts, sagte ich, Unsinn, du bist traurig, sagte sie, ich weiß es. Schweigend nahmen wir das Abendessen ein, Fúlvia aß nur Salat.
Das Telefon klingelte dreimal, dann hörte es auf, noch bevor Fúlvia drangehen konnte. Das war Ingrids Code, sie machte es immer so. Ich hatte sie millionenmal gebeten, nicht unnötig bei mir zu Hause anzurufen, ich wollte Fúlvia nicht weh tun. Die Menschen verstehen nicht, wenn eine Beziehung ohne die herkömmliche schmutzige Wäsche, Streitereien, Beschimpfungen, Chaos zu Ende geht. Ingrid erfreute sich an dem Gedanken, sie sei der Grund für das Ende meiner Ehe. Aber die Wahrheit war, daß es kein
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