Wer lügt, gewinnt
sie schlug vor, daß wir irgendwohin reisen sollten, nach Paris vielleicht, sagte sie, vielleicht irgendwohin weit weg von hier, weit weg von Ingrid …
Ich antwortete, daß es keinen Zweck hätte, das Gespräch wieder aufzugreifen.
Zwischen uns gibt es keine Liebe mehr, hast du mir gestern gesagt. Aber zwischen uns gibt es eine Leiche, und wenn es darum geht, was zwei Menschen verbindet, dann erfüllt eine Leiche diese Funktion ebensogut oder besser als die Leidenschaft selbst.
Ich fühlte eine furchtbare Beklemmung. Ich ging ins Bad, ich übergab mich. Mit einem mentholhaltigen Präparat spülte ich meinen Mund, wusch mir das Gesicht. Als ich zurückkam, war Fúlvia nicht mehr da. Ich ging in mein Zimmer, wir schliefen in getrennten Räumen. Ich las ein wenig. Bevor ich einschlief, bemerkte ich, daß in Fúlvias Schlafzimmer Licht brannte. Ich ging hinein. Als ich näher kam, um sie zuzudecken, sah ich, daß sie irgend etwas gegen die Brust gedrückt hielt, Ronalds Beinprothese.
Ich kehrte in mein Schlafzimmer zurück. Ich verkroch mich unter der Decke und löschte das Licht.
Am darauffolgenden Tag erwachte ich mit einem Brennen oberhalb des Magens und mit Kopfschmerzen. Ich öffnete die Schublade meines Nachttischs, griff nach der Packung Antak und zerkaute zwei davon.
Ich stand auf, Fúlvia sei schon zur Fazenda gefahren, wurde mir mitgeteilt. Zwei Monate nach Ronalds Tod hatte Fúlvia die Läden verkauft, eine Fazenda erworben und war dazu übergangen, sich dem illegalen Handel mit Giftschlangen und dem Schmuggel von gefriergetrocknetem Gift verschiedener Schlangen, wie Jararacas und Klapperschlangen, ins Ausland zu widmen.
Ich duschte, zog mich an, ich fühlte mich gar nicht gut. Ich schwitzte, daß es nicht mehr feierlich war. Ich setzte mich in den Garten, lockerte die Krawatte. Der Junge, der sich um den Swimmingpool kümmerte, fischte mit einem langstieligen Sieb die Blätter aus dem Wasser. Er lächelte zu mir herüber. Die Übelkeit kehrte zurück. Ich ging ins Bad, aber ich konnte mich nicht übergeben.
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Buch von João Aroeira weiterhin führend
João Aroeira hält sich mit seinem Symbiotischen Wörterbuch der Gesundheit weiter an der Spitze der Bestenliste. Reichen Sie sich selbst die Hand, sein Erstlingswerk, das während des gesamten ersten Halbjahrs die Verkaufszahlen anführte, ist auf die Liste der meistverkauften Bücher zurückgekehrt und nimmt dort seit drei Wochen den vierten Platz ein.
Ich ließ die Zeitung, die Laércio mir gegeben hatte, auf meinen Schreibtisch sinken. Er schaute mich mit seinen vergilbten Zähnen zufrieden an, er lächelte. Beten Sie? fragte ich. Er sagte zu mir, Gott komme ihm nur in den Sinn, »wenn’s eng wird«.
Ich reichte ihm eine amerikanische Zeitschrift mit einer Studie über Religion. Einundfünfzig Prozent der Amerikaner beten, hieß es in der Studie. Und wenn Gott eine Antwort schuldig bleibe, auch gut, dann beten sie trotzdem weiter, so die Studie, die Gründe dafür standen dort aufgelistet, Krankheit, Arbeitslosigkeit, Enttäuschung, Unfruchtbarkeit, Drogenabhängigkeit, Verlassenwerden, alles mögliche.
Laércio überflog teilnahmslos die Zeitschrift. Und? fragte er. Unser Strand liegt anderswo, was wollen Sie damit? Ich erklärte ihm, daß die katholische Kirche in Brasilien pro Jahr sechshunderttausend Anhänger einbüßte und daß die Sekten wie Pilze aus dem Boden sprössen. Scheint mir ganz normal, sagte er und wollte damit das Thema beenden, die Leute suchen eben nach Frieden, nach Geborgenheit, so einfach ist das. Ja, sagte ich, genau darum geht es, Sie haben es erfaßt, setzen Sie sich bitte. Wollen Sie wirklich, daß wir uns darüber unterhalten? fragte Laércio. Ja, das will ich, sagte ich. Laércio setzte sich, ich merkte, wie seine Ungeduld ungezügelt wuchs. Sie haben ins Schwarze getroffen, sagte ich, das Wort heißt Geborgenheit, die Leute sind auf der Suche nach Frieden, nach Geborgenheit, und die Kirche, sagte ich, bietet niemandem Geborgenheit, ich weiß, sagte er und schaute auf die Uhr, heutzutage, sagte ich, kräht doch kein Hahn nach der Kirche, sie ist da wie eine Kuh auf der Weide, und ab und zu sagt sie mal Muh und verkündet, daß sie gegen die Abtreibung ist. Sehen Sie nur hier diese Zahlen. Ich weiß, sagte Laércio. Und jährlich, fuhr ich fort, verschwinden Tausende von Menschen in allen möglichen Ländern dieser Erde von zu Hause, um sich diesen verrückten Sekten anzuschließen. Es gab ein Jahr, in dem
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