Wer mit Hunden schläft - Roman
sogar in aller Öffentlichkeit stolz sein auf die Morde. Weil sie durch den bestandenen Jagdschein dazu berechtigt waren und das Morden in der Öffentlichkeit akzeptiert, ja sogar angesehen und beliebt war. An das Aufschlagen seiner Spucke auf den Leitenbauerbubenrücken musste der Norbert denken, als er im Bahnhofsrestaurant aus der bauchigen Flasche das rote Himbeerkracherl trank. Und an die Rosemarie. An die Rosemarie musste er auch gleich wieder denken, als er aufs Klo des Bahnhofsrestaurants ging. Weil es auf den öffentlichen Klos, wie jeder aus eigener Erfahrung weiß, immer scharf brunzelt, hat es ihn auf diesem Klo besonders an die Rosemarie und die weiche Stelle zwischen ihren Beinen erinnert. »Du wirst lachen, Kreisky, wo du normalerweise die Luft anhältst und schaust, dass du möglichst schnell wieder rauskommst aus so einem Klo, habe ich noch einmal tief Luft geholt, bevor ich wieder rausgegangen bin. Der grauslichste Gestank macht dich glücklich, wenn er dich an etwas Schönes erinnert, wirklich wahr. Die Menschen verschwinden alle, stimmt’s? Nur die Erinnerungen an diese Menschen und die Gerüche, die du mit ihnen verbindest, bleiben. So wie einige wenige Stücke, die du dir aufbehältst zur Erinnerung, Kreisky«, sagt der Herr Norbert.
Der Norbert hat sich die Armbanduhr der Mutter aufbehalten seinerzeit. Die war in dem Brief, den der Pfarrer Probodnig dem Norbert geschickt hat nach ihrem Tod. Sonst ist nichts übrig geblieben von ihr als diese Armbanduhr, weil der Rest des Erbes, wie gesagt, für ihren eigenen Tod draufgegangen ist. Waren die unsterblichen Überreste der Mutter ein Brief, das Abschiedsfoto vom Pichlberger Fotofrosch und eine unechte vergoldete Armbanduhr gewesen. An die Armbanduhr auf dem Handgelenk der Mutter musste der Norbert auch denken, als er im Bahnhofsrestaurant das Himbeerkracherl aus der bauchigen Glasflasche trank, weil er die ganze Zeit auf die Bahnhofsuhr schaute, die vor ihm hing. Die Armbanduhr trug die Mutter auch am Tag der Kindsweggabe. Von der Früh an schaute sie permanent auf die Uhr, die sie an ihrem linken Handgelenk trug. Hat sie so getragen, dass das Gehäuse immer an der Innenseite des Handgelenks gewesen ist und sie deshalb die Hand zuerst schütteln und nach außen hat drehen müssen, um die Zeit ablesen zu können. Deshalb machte sie an diesem Tag, während sie den Norbert herrichtete und ausgehfertig machte, ihn zum Fotofrosch brachte und das Gewand zurechtzupfte, ihm am Bahnsteig den Inhalt seines Rucksacks aufzählte, diese Bewegung mit der Hand. Sah der Norbert später, als er bereits in Wien lebte, auf der Straße eine Frau, die gerade auf den Bus wartete zum Beispiel und eben diese Handbewegung machte, weil es anscheinend die Angewohnheit einer Generation von Frauen ist, ihre Armbanduhren mit dem Gehäuse an der Innenseite des Handgelenks zu tragen, musste er sofort an die Mutter denken. Verfolgten ihn die Erinnerungen ein Leben lang deswegen, weil er sich den zufälligen Auslösern dieser Erinnerung nicht entziehen konnte natürlich. Hat in den Frauen seine Mutter wiedererkannt und ist ihm beim Anblick dieser ihr Handgelenk schüttelnden Frauen jedes Mal die Gänsehaut aufgestiegen, wie man so schön sagt.
Als der Norbert an seinen Wochenenden mit der Straßenbahn durch Wien fuhr, sehnte er sich nur danach, die Rosemarie wiederzusehen. Fuhr mit der Straßenbahn zu den Plätzen, wo sie einander immer getroffen hatten früher, als der Norbert noch im Arnautovič Kinderheim wohnen musste. Hatte er sich anfangs noch gefreut, vom Leitenbauerhof und den Leitenbauerischen wegzukommen, war ihm diese Freude bald vergangen. Wünschte er sich, wieder mit der Mutter in der Leitenbauerkeusche wohnen zu können, aber die war ja tot. Um die Rosemarie zu treffen, hat sich der Norbert nachts heimlich davongemacht. Aus einem Küchenfenster, das das einzige Fenster im Kinderheim gewesen ist, das nicht vergittert war, weil die Erdäpfel direkt durch dieses Fenster geliefert wurden. Meistens haben sich der Norbert und die Rosemarie im Prater getroffen, beim Calafati, dem großen Chineser, wie die Wiener die Statue nennen. Aufgehalten haben sie sich aber nicht im Prater, sondern haben im Schatten der Lichter das Treiben beobachtet. Unsichtbar sind sie die Prater Hauptallee entlanggegangen oder haben sich nebeneinander in die Praterwiese gelegt und in den Himmel geschaut. Auf der feuchten schwarzen Wiese haben sie sich wohlgefühlt. Der Norbert trug im Sommer
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