Wer mordet schon in Franken? - 11 Krimis und 125 Freizeittipps
Schüler auf einen Schlag verliert. Drei Todesfälle. Da will man einfach nicht mehr weitermachen. Findet nirgendwo mehr Trost. Schon gar nicht, wenn man keine eigenen Kinder hat. Wenn man niemanden hat. Keinen Mann, keine Geschwister. So wie ich.
Ich habe immer für die Schule gelebt. Bis zu jenem Sommer, in dem der Abiturjahrgang um drei reduziert wurde. Sie hatten die Prüfungen mit Bravour gemeistert, vor allem Charly, den die Kollegen für dickfellig hielten. Dem könnte man im Gehen die Hosen flicken, sagten manche. Ich habe in Charly einen anderen gesehen: einen nachdenklichen jungen Mann, der für wichtigere Fragen brannte als für die, welche üblicherweise in der Schule zu beantworten sind.
Wenn drei junge Leute losziehen, ein Mädchen und zwei Jungen, dann ahnt man doch schon, wie alles ausgeht. Das Mädchen entscheidet sich für einen der beiden, und der, der übrig bleibt, hat das Nachsehen. Eva liebte das klare Wort und hatte keine Angst vor Entscheidungen. Ich denke immer noch, sie hat ihre Wahl getroffen auf jener Fahrt durch das Fichtelgebirge, von der keiner der drei mehr zurückkehren sollte.
Sie können mir glauben, die ganzen groÃen Ferien bin ich in Bayreuth geblieben. Ich hoffte nach wie vor, die Polizei würde noch alles richtigstellen können. Uns informieren, dass nichts so war, wie es schien. Deswegen fuhr ich nicht zwei Wochen an die Nordsee, wie in all den Jahren zuvor. Ich blieb in Bayreuth. Irgendwo tief drin sehnte ich mich danach, jemand würde kommen und sagen, es war alles ein Irrtum. Die drei sind am Leben. Ja, ich träumte sogar, dass sie alle drei vor meiner Tür standen: Eva, Dirk und Charly. Lachend, sonnengebräunt, ausgelassen. Drei Abiturienten. Drei, denen alles offenstand.
Ich wohne nicht weit von der Eremitage  25 . Jeden Morgen sehr früh machte ich einen ausgedehnten Spaziergang durch den Park, um in Ruhe nachdenken zu können. Noch bevor die Touristen kamen, um sich an den Wasserspielen zu erfreuen oder mit Plänen ausgestattet von Grotte zu Grotte und zum Ruinentheater zu stapfen. Sie wollen nur ja keine Laune unserer Markgräfin Wilhelmine verpassen, die lieben Besucher, und machen dabei einen Lärm, dass sich kein Faun mehr aus dem Gebüsch traut. Das hat Eva mal auf einem Schulausflug zu mir gesagt, und ich werde es nie vergessen: »Frau Plein, ich wette, in der Eremitage, da leben noch welche. Faune. Nicht wahr?« Sie hüpfte kichernd zu ihren Freundinnen. Damals war sie in der achten Klasse und trug eine Zahnspange, an der immer ein wenig Lippenstift klebte.
Diese Kinder waren wie meine eigenen Kinder. Mit ihrem Tod konnte ich mich nicht abfinden. Mit einem so dramatischen, blutigen Ende.
Wenn ich Besorgungen machen musste, schlenderte ich in einem weiten Bogen durch die Stadt, durch den Hofgarten am liebsten, wo es schön schattig war. Ich war auf nichts mehr aus als auf Ablenkung. Suchte ständig nach Impulsen, die meine traurigen Gedanken für eine Weile überlagerten. Auf einem meiner Rundgänge im späten August traf ich vor der Villa Wahnfried 26  auf Tine. Evas beste Freundin.
»Hallo, Frau Plein!« Sie kam aus dem Schatten unter den Bäumen hervor, wo das Wagnergrab lag. An diesem Abend sollte zum letzten Mal im Festspielhaus die Götterdämmerung gegeben werden, doch an Richards und Cosimas letzter Ruhestätte zeigte sich kein einziger Wagnerianer. Nur Tine. Ein seltsamer Ort für ein junges Mädchen. Aber dieser Sommer war auch kein normaler Sommer, der Abiturjahrgang keiner wie sonst. Wenn drei aus deinem Jahrgang sterben, beginnt die groÃe Freiheit nach der Schule nicht so, wie sie sollte.
»Hallo, Tine!«
Sie hielt ein Smartphone in der Hand und sah mich mit diesem seltsamen Blick an, bei dem eine erfahrene Lehrerin merkt: Hoppla, jetzt kommt eine echte Katastrophe auf mich zu.
»Haben Sie gewusst, dass Eva getwittert hat?«
Ich hatte keine Ahnung. Weder, was twittern genau bedeutete, noch was Eva dabei gemacht hatte.
»Ich meine, auch während ihrer Fahrt mit Dirk und Charly.«
»Ach so?«
Wir setzten uns auf eine Bank. Sie hielt mir ihr Smartphone unter die Nase und erklärte mir, was Twitter war. Dann zeigte sie mir alle Einträge, die Eva während der Fahrt hinausgezwitschert hatte in die Leere des Internets. Ich las. Mir wurde schwindelig. Meine Augen tränten.
»Tine«, sagte ich, als ich mich
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