Wer mordet schon in Franken? - 11 Krimis und 125 Freizeittipps
sollte es mal einen Volkshochschulkurs geben. Wie man Komplimente macht.
Ich berühre meine Wangen. Ich habe hohe Wangenknochen, groÃe Mandelaugen, dunkelbraun, hohe, gewölbte Augenbrauen, kräftige Wimpern. Meine Lippen sind voll und ideal geschwungen. Ja, ich bin schön.
Aber nicht mehr lang.
Ich berühre mein Haar. Es ist lang, reicht mir bis weit über die Schultern. Ich packe den Schopf und hebe das Haar hoch, fühle, wie schwer es ist.
Nicht mehr lang.
Mein Zeigefinger tippt an den Spiegel und fährt die Linien meines Gesichtes auf dem kalten Glas nach. Noch ist alles intakt.
Aber nicht mehr lang.
*
»Hier ist mir ein bisschen zu viel Verkündigung an Maria!« Katinka drehte sich in dem riesigen Ausstellungssaal ein paar Mal um die eigene Achse. »Sie sagten, es ginge um ein bestimmtes Bild? Hier sind ein paar Dutzend Verkündigungsengel inklusive Marias.«
Dante packte sie sanft an den Schultern und schob sie zu einem Gemälde. »Hier. Das ist es. Was fällt Ihnen auf?«
»Maria liest ein Buch. Hinter ihr steht ein Engel. Blond gelockt. Seine Augen treten zu weit hervor. Er scheint ein Schilddrüsenproblem zu haben.«
»Engel haben keine Schilddrüsen.« Dante kicherte. »Ein Buch also. Sehr seltsam, oder? Zur Zeit der echten Maria gab es noch keine Bücher. Und betrachten Sie das Zimmer, in dem die beiden stehen: Der Mörtel rinnt am Türstock herunter, das Holz der Balken ist gerissen. Kein einziges Möbelstück. Und Maria sieht den Engel nicht an.«
»Wischnewski, ich habe keinen Bedarf an einer Unterrichtsstunde in Kunstgeschichte oder Theologie.«
»Ich denke, dass das alles mit dem Bild zusammenhängt.«
»Was: âºdas allesâ¹?«
Dante sah sich um und senkte rasch die Stimme.
»Die Polizei behauptet, Schwerte hätte seine Frau umgebracht.«
»Die Frau, die man tot im Henkerhaus gefunden hat?«
»Egal, ob er es war oder nicht: Entscheidend ist, dass sie nach ihm fahnden, ihn aber nicht finden.« Er senkte die Stimme. »Schwerte hat mir eine SMS geschickt. Er ist unschuldig. Nehmen Sie den Auftrag an?«
Katinka seufzte. »Wischnewski, unsere alte Freundschaft in Ehren, aber â¦Â«
»Sie werden nicht umsonst arbeiten. Ich verspreche es. Schwerte hat Geld, und er hat ein ziemlich übles Problem an der Backe.«
Katinka Palfy, die im Augenblick eine flaue berufliche Phase durchlebte, die sie auf das miserable Wetter schob, zuckte die Achseln.
»Sie wollen, dass ich seine Unschuld beweise?«
»Er selbst will es. Ich sollte den besten Privatdetektiv anheuern, der unter dem fränkischen Sternenhimmel zu finden ist. Was meinen Sie, Frau Palfy, warum sieht Maria den Engel nicht an? Weil sie ihn sowieso nicht sehen könnte?«
»Das liegt nahe.«
»Oder weil sie sich nicht für ihn interessiert?«
»Weil sie es womöglich für selbstverständlich hält, dass er da ist.«
Dante nickte frenetisch. »Vermutlich. Wollen Sie wissen, wie sie gestorben ist? Schwertes Frau? Jemand hat ihr das Gesicht zerschnitten und sie dann erdrosselt. Vorher wurde ihr noch das Haar abgeschnitten.«
»Ich muss hier raus, Wischnewski. Zehn Minuten im Museum, und ich fange an zu gähnen. Wo finde ich diesen Schwerte?«
Dante sah auf die Uhr. »In genau 20 Minuten auf dem Johannisfriedhof 84 .«
*
Ich habe ihn nur nach Nürnberg begleitet, weil er mich so sehr darum gebeten hat. Wegen des Bildes bin ich bestimmt nicht hierher gekommen. Ich bin kein sehr kunstbeflissener Mensch. Als ich noch Energie genug hatte, interessierte ich mich für Politik. Das Alltagsgeschäft der Parteien, die gesellschaftlichen Verlogenheiten und Intrigen waren auch einmal Thorleifs Geschäft. Als wir heirateten, lagen wir gleich auf. Wir wollten immer zusammenbleiben, unsere Themen teilen. Es kam dann so: Ich teilte Thorleifs Themen. Meine starben ab. Thorleif ging in die Kunst, den Film. Ich glitt neben ihm her. Während ich meine Züge im Spiegel mustere, sehe ich, was ich ihm alles war: eine schöne Begleiterin mit einem Ehering am Finger, die ihm das Gerede ersparte. Die ihn davor bewahrte, von den Damen aus der Branche vernascht zu werden. Er ist ein spröder Mensch. Das liebte ich, dieses hölzerne Gebaren, die Schüchternheit, das Zaghafte. Am Anfang. Später sah ich nur die Entscheidungsschwäche. Sein Zögern. Das unendliche
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