Wer mordet schon in Franken? - 11 Krimis und 125 Freizeittipps
warten lassen. Ich werde es nicht mehr erleben. Es ist mir auch egal, ob das braune Pegnitzwasser bis hinauf ins Henkerhaus 81  steigt. Denn in ein paar Stunden bin ich tot. Ehe die nächste Touristengruppe die schmale Holzstiege hinaufklettern und den Erläuterungen eines engagierten jungen Historikers lauschen wird, über den Henker Franz Schmid, in dessen Dienstwohnung ich mich gerade befinde, hoch über dem Fluss, wird mein Blut über den Boden sickern. Klebrige Spuren werden sich durch das schmale Brückenhaus ziehen und allmählich eintrocknen.
Dann seid ihr mich endlich los und euer Leben wird wieder lebenswert sein.
*
Dante Wischnewski, Journalist, Tausendsassa und Alleskönner, hyperaktiver Freiberufler und Wortverdreher, tänzelte durch die StraÃe der Menschenrechte 82 , wobei er von Säule zu Säule hüpfte, sich eine Weile daran festhielt, den jeweiligen Text auf Deutsch überflog und sich dann an einer Ãbersetzung aus dem fremdsprachigen Text versuchte, der ebenfalls in die Säule gemeiÃelt war. Besonders schwer konnte es nicht sein, denn erstens kannte Dante die Artikel der Erklärung der Menschenrechte beinahe auswendig, und zweitens stand der Text ja auf Deutsch da. Er fand es einfach spannend, herauszufinden, ob er auch mit rudimentären Kenntnissen, zum Beispiel des Russischen, ein paar bekannte Wörter auszumachen imstande war. An der armenischen Säule musste er jedoch scheitern. Er konnte die Buchstaben nicht identifizieren. Genauso wenig wie die tibetischen, an der Säule war er schon vorbeigekommen.
Ein eisiger Wind pfiff durch Nürnberg. Das Wetter fühlte sich eher wie November an als wie Mai. Die Kartäusergasse vor dem Germanischen Nationalmuseum 83  sah trist und grau aus. Touristen in bunten Regenjacken hetzten auf den Haupteingang zu und verschwanden schnellstmöglich durch die Drehtür. Im Museum regnete es wenigstens nicht.
»Na endlich!« Dante löste sich von der armenischen Säule und eilte der Frau entgegen, die in einem eisblauen Parka auf ihn zugestapft kam. »Frau Palfy! Ich wäre beinahe festgefroren!«
Sie lachte. Zog die Kapuze vom Kopf.
»Wow, Ihr Haar ist ja noch kürzer als gestern. Sie machen mir Konkurrenz!« Er nahm seine Ohrenklappenmütze ab. Dante Wischnewski hatte kaum noch Haare auf dem Kopf, allenfalls einen dünnen Flaum, der an einen frisch geschlüpften Vogel erinnerte.
»Verraten Sie mir, warum Sie mich bei dem ScheiÃwetter nach Nürnberg zitieren?«
»Sie sind die Einzige, die Licht ins Dunkel bringen kann.« Dante nahm Katinka beim Arm. »Beruflich. Als Privatermittlerin, meine ich. Sie kennen doch Thorleif Schwerte? Den Journalisten?«
»Da muss ich passen.«
Sie stiegen die Stufen zum Museum hinauf. »Ich habe ihn hier getroffen. Gestern. Im Museum. Zu einem Interview.«
»Hilfe, Wischnewski â¦Â«
»Die Zusammenhänge werden Ihnen schon noch aufgehen. Er ist Publizist, Kritiker, Künstler. Kam nach Nürnberg, um ein Bild anzusehen. Nur eines. Die âºVerkündigung an Mariaâ¹ von Konrad Witz. 15. Jahrhundert. Hängt im Germanischen Nationalmuseum. Also hier. Wollen Sie es sehen? Ich lade Sie ein.«
*
Im Henkerhaus haben sie Toiletten, warmes Wasser. Ich habe mich einfach einschlieÃen lassen. Mich auf den Klodeckel gesetzt und die FüÃe hochgezogen. Hier habe ich alles, was ich brauche. Mit dem Tod habe ich keine Eile. Er ist ohnehin schon im Anmarsch. Als die Stimmen der Besuchergruppe verklungen sind, höre ich, wie sich unten im Schloss der Eingangstür ein Schlüssel dreht. Kurz werde ich klaustrophobisch. Aber wirklich nur kurz. Wenn der Sensenmann sein Kommen ankündigt, gibt es ohnehin kein Entrinnen.
Ich stelle mich eine Weile vor den Spiegel.
Er hat immer geschwärmt, wie schön ich sei. Er ist wirklich nie müde geworden, mir genau das zu sagen. Meine Freundinnen haben mich um so einen Mann beneidet. Sie bekommen anscheinend niemals Komplimente. Etwas Nettes zu einer Frau zu sagen, fällt den Männern dermaÃen schwer. Nicht, weil sie sich nicht trauen würden, oh nein, sie fragen ja auch, willst du mit mir schlafen, willst du einen Drink, könntest du mal das Waschbecken sauber machen, aber nur, wenn es dir nichts ausmacht. Ich glaube, ihnen fehlen einfach die Worte. Sie wissen nicht, wie sie ein Kompliment in Worte kleiden können.
Dazu
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