Wer nichts hat, kann alles geben
dem Fernseher platziert hatte. Abermals sagte das Kind: »Da sitzt wirklich einer draußen, und er winkt immer verzweifelter.« Irgendwann erbarmte sich der Vater, sah durchs Fenster und stellte fest: »Oh, da sitzt ja wirklich einer.« Endlich rannten sie zu Justin und halfen ihm aus dem Flugzeug.
Ich dagegen kam genau an dem Punkt an, den wir ursprünglich avisiert hatten. Oder sagen wir: beinahe. Wir hatten vorher auf dem einzigen Anschluss angerufen, den wir im Telefonbuch gefunden hatten, einem
Hotel. Dort fragten wir nach dem Flugplatz. Man erklärte uns, der sei ganz einfach zu finden, denn es gebe ohnehin nur ein großes Gebäude im Ort, das sei das Hotel, genau davor sei der Flugplatz.
Ich komme also dort an, sehe aus der Luft wirklich nur ein großes Gebäude und einen grünen Fleck daneben und denke mir noch: »Das Feld hat eine eigenwillige Form für einen Landeplatz, übertrieben lang ist es auch nicht, aber was will man machen?« Während des Landeanflugs erkenne ich dann, dass mitten auf dem Landeplatz zwei hohe Masten auf der einen und zwei hohe Masten auf der anderen Seite stehen, und denke mir: »Irgendetwas stimmt hier nicht.« Dann sehe ich es: Ich steuere auf ein Rugbyfeld zu!
Irgendwie fliege ich an den ersten Masten vorbei, setze auf der Wiese auf, bremse voll ab und kann im Ausrollen gerade noch den anderen beiden Masten ausweichen – jedoch nicht dem Zaun, der die Restgeschwindigkeit meines Fliegers abbremst. Das ist mein Glück im Unglück, denn eine der beiden Tragflächen ragt dadurch über den Zaun, hinter dem der eigentliche Flugplatz liegt – nicht mehr als eine schmale, steinige Fläche.
Damit war mein Flug insofern gültig, als es mir gelungen war, an dem Ort zu landen, den ich im Vorfeld als Ziel angegeben hatte. Auf solche Feinheiten kommt es beim Segelfliegen eben an. Als ich Justins Ehefrau anrief und ihr erzählte, dass ich genau dort gelandet sei, antwortete sie: »Gratuliere zum Weltrekord! Ich habe nachgeschaut: Die Strecke, die ihr notiert habt,
ist die längste gerade Linie, die in einem Flugzeug deiner Klasse bislang geflogen wurde.« Es waren exakt 1039 Kilometer. So stellte ich mit einem Flug zwei Weltrekorde auf einmal auf: Einen dafür, die Strecke auf gerader Linie zurückgelegt zu haben, und den zweiten, am geplanten Endpunkt angekommen zu sein. Zwei Weltrekorde sind mir also bis ans Ende meiner Tage sicher. Und ich kann sagen, dass sie mir ziemlich egal sind: Ich bekam die beiden Urkunden per Post zugeschickt und legte sie unberührt in den Schrank.
Es war einer dieser Momente, wie ich ihn in jener Zeit häufig erlebte. Da schafft man etwas wirklich Außergewöhnliches: einen Weltrekord. Noch dazu unter solchen Umständen. Man könnte kurz innehalten und sich einfach darüber freuen, etwas erreicht zu haben, was man sich vorgenommen hat. Mir war das dagegen völlig gleichgültig, weil es mir so sinnlos vorkam. Ich sah mir die Urkunden kurz an, befand, dass sie hässlich waren, und packte sie weg.
Bei Wettbewerben war das nicht anders: Ich stand auf dem Podest, man applaudierte mir, ich aber dachte: »Das ist nicht das, was du haben wolltest.« Anfangs hatte ich noch die Vermutung, ich sei einfach niemand, der sich recht über einen Erfolg freuen kann. Mir wurde aber immer klarer, dass das eine andere Ursache haben musste.
Im Jahr 1997 übersiedelten wir von Leonding nach Tirol in unser neu erbautes Haus. Vom Bau selbst hatten wir wenig mitbekommen, zum Anpacken hatte mir
erstens die Zeit gefehlt und zweitens die Geduld. Auf so einer Baustelle geht ja nichts voran: Man arbeitet einen Tag lang, und es ist nichts passiert, was man sehen könnte. Einmal aber baute ich mit dem Architekten ein paar Fenster ein, weil er fand, es gehöre zur Tradition, dass der Architekt und der Bauherr gemeinsam auf der Baustelle stehen. Aus dem geplanten Tag wurde dann ein halber, der Einbau der Fenster ging überraschend schnell vonstatten.
Es war vor allem Irene, die sich darum gekümmert hatte, dass es im Haus wohnlich aussah, als wir einzogen. Ich hatte dafür keine Zeit, musste ich mich doch in den Wochen vor dem Einzug auf ein Ereignis vorbereiten, das für mich von größerer Bedeutung war als das neue Zuhause: die Segelflug-WM in Südfrankreich im darauffolgenden Sommer. Was ich zu diesem Zeitpunkt allerdings noch nicht ahnte: Die vor mir liegenden zwei Jahre sollten mein Leben in eine ganz andere Bahn schubsen, als ich das selbst im Sinn hatte. Man könnte sagen: Ich
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