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Wer nichts hat, kann alles geben

Wer nichts hat, kann alles geben

Titel: Wer nichts hat, kann alles geben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl Rabeder
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stand kurz davor, an einer Stelle einen Aufwind zu finden, die ich bis dahin schlicht übersehen hatte.

Der Urlaub
    W enn ich einen Zeitpunkt in meinem Leben benennen soll, der im Rückblick den Wendepunkt meines Lebens markiert, dann war es das Jahr 1997 mit dem sich anschließenden Winter. Das war eine Zeit, die mit einem fabelhaften Traumurlaub auf einer karibischen Insel begann und mit einem vermeintlichen Traumurlaub auf Hawaii endete. Danach war nichts mehr wie zuvor. Zum einen war ich danach ein verheirateter Mann und zum anderen endgültig der Illusion beraubt, dass unser materieller Reichtum meine emotionale und spirituelle Not ausgleichen konnte. Aber der Reihe nach.
    Es war für uns über die Jahre zu einer liebgewonnenen Tradition geworden, den europäischen Winter gegen den Sommer auf einem anderen Flecken der Erde einzutauschen. Ich verabscheue den Winter: Ich kann es nicht ertragen, wenn mir die Kälte durch die Kleidung fährt und man morgens beim Blick aus dem Fenster das Bett erst gar nicht verlassen möchte. Wenn ich kann, fliehe ich. Man hat mir oft gesagt: »Aber, Karl, ohne Jahreszeiten zu leben, das ist unnatürlich.
« Das stimmt, der jahreszeitliche Zyklus ist etwas sehr Natürliches. Das bedeutet aber nicht, dass die Jahreszeiten so auszusehen haben wie bei uns. Nur weil die sich bei uns so stark unterscheiden, heißt das nicht, dass das Leben in Ländern mit weniger ausdifferenzierten Jahreszeiten unnatürlicher wäre. Ohne einen Winter zu leben, der uns mehrere Monate lang in Eiseskälte um die Nase pfeift, mag uns ungewohnt erscheinen – es ist aber beileibe nicht unnatürlich.
    Sobald nach dem Weihnachts- und Silvestergeschäft alle Aufträge abgerechnet und die übrig gebliebenen Artikel registriert waren, flogen Irene und ich um die Welt, um klirrende Kälte und Schneematsch gegen flirrende Hitze und Sandstrand einzutauschen – egal wohin, Hauptsache weit weg von Österreich. Im Winter 1997, wenige Wochen vor unserem Umzug, landeten wir also auf einer Karibikinsel, auf der man ohne großen bürokratischen Aufwand heiraten kann und vor allem: ohne unsere lieben Verwandten.
    Irene und ich fanden, dass das genau der richtige Rahmen war, um unsere Beziehung in die Ehe zu überführen. Natürlich liebten wir uns, aber das Verhältnis zwischen uns war weniger von großer Liebe und Leidenschaft geprägt als vielmehr von freundschaftlicher, fast geschwisterlicher Verbundenheit. Es war deshalb nur logisch, dass wir unsere Hochzeit nicht mit einem rauschenden Fest in Österreich feiern wollten, bei dem am Ende noch ein Flieger durch die Luft gleitet, ein Spruchband hinter sich herziehend,
auf dem »Karl und Irene – im Himmel der Liebe« steht. Was für eine grauenhafte Vorstellung!
    Nein, unsere Hochzeit wollten wir ganz klein am Strand feiern, mit nichts weiter als einem Pfarrer vor und dem Rauschen des Meeres hinter uns. Nach der kurzen Zeremonie sahen wir uns an, gaben uns einen Kuss und liefen händchenhaltend zurück zum Hotel. Es gab niemanden, der uns Reis über die Köpfe kippte, den wir danach mühsam aus den Haaren hätten pulen müssen, wir mussten keinen Walzer tanzen oder furchtbare Hochzeitsspiele über uns ergehen lassen, zu denen wir bemüht hätten lächeln müssen. Offiziell waren wir jetzt Mann und Frau, tatsächlich aber waren wir schon längst eher Bruder und Schwester. Wir waren allerdings beide noch nicht so weit, uns diese Wahrheit einzugestehen, wahrscheinlich, weil wir insgeheim ahnten, dass damit unweigerlich das Kartenhaus komplett in sich zusammenstürzen würde, wenn wir an einer solch sensiblen Stelle Hand anlegen würden. Es war in Ordnung, so wie es war.
    Außerdem hatte ich ja meine Ersatzbefriedigung. Hätte man mich damals gefragt: »Karl, worauf wärest du eher bereit zu verzichten – aufs Segelfliegen oder auf Sex?«, wäre meine Antwort eindeutig gewesen. Das hatte aber weniger mit Irene zu tun als vielmehr damit, dass ich nur im Flugzeug wirklich in der Lage war, mich treiben zu lassen. Schon ab dem Alter von sechzehn, siebzehn Jahren bedeuteten mir Frauen weit weniger als Flugzeuge, und dies sollte sich erst über zwanzig Jahre später ändern. 1

    Nach unserer Rückkehr nach Österreich und dem anschließenden Umzug nach Tirol galt meine ganze Konzentration der Weltmeisterschaft in Südfrankreich, es war ja gewissermaßen meine »Heim«-WM, in kaum einem anderen Revier kannte ich mich besser aus als dort. An meiner ersten WM hatte ich 1995 in

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