Wer nichts hat, kann alles geben
Giftstoffe im Einsatz sind, die Ruhepausen eingehalten werden und die Mitarbeiter ihr Recht auf Mitbestimmung wahrnehmen können. Es liegen ja Tausende von Kilometern dazwischen. Solange die Menschen keine Identität besitzen, sondern nur als Kostenfaktoren in den Bilanzbüchern auftauchen, muss man sich auch keine Gedanken über sie machen. Das Einzige, was zählt, ist, dass die Waren kostengünstig produziert werden und gut aussehen. Das nennt man dann Globalisierung.
Andererseits: Die Sache mit dem Aussehen hatte auch ihre Tücken. Natürlich gab es exakte Muster, an denen sich die chinesischen Arbeiter orientieren sollten. Doch an Details konnte man durchaus erkennen, dass die Produkte in einem anderen Kulturkreis angefertigt wurden. Auf manchen unserer Kerzen gab es zum Beispiel Gesichter, deren Züge auf unseren Vorlagen eindeutig westeuropäisch waren. Doch auf den Exemplaren aus China konnte man sehen, dass derjenige, der die Gesichter gemalt hatte, ein asiatisches Menschenbild im Kopf hatte. Das Bemühen, möglichst nah ans Original heranzukommen, war offensichtlich, trotzdem waren etwa die Augen um Nuancen zu schmal oder die Nasen zu klein. Manchmal war auch die Farbgebung etwas eigenwillig, es wurden mitunter Farben verwendet, die gerade auf Lager waren, auch wenn sie dem Muster nicht wirklich entsprachen.
Da steht man dann in Österreich, öffnet die Kisten und dreht fast durch. Aber was will man machen, so ist das Leben eines Unternehmers, der sich vorgenommen hat, seinen Gewinn zu maximieren. Da muss man gewisse Unwägbarkeiten eben in Kauf nehmen.
Bei allem Komfort, mit dem sich die Geschäfte zwischen Österreich und China abwickeln ließen, kam in mir trotzdem irgendwann der Wunsch auf, nach Asien zu reisen, um unsere Partner selbst auszusuchen. Weniger, weil ich mit der Arbeit unzufrieden gewesen wäre, meistens waren die Produkte ja in Ordnung, sondern vielmehr, weil ich das Gefühl hatte, man könnte aus unserem Geschäft noch viel mehr machen.
»Warum«, dachte ich, »sollen wir unsere Aktivitäten nur auf Österreich und den süddeutschen Raum beschränken? Was bei uns funktioniert, wird auch im Rest Europas klappen.« – »Wir müssen viel größer denken«, sagte ich zu Irene. »Europaweit können wir doch ein Vielfaches des Umsatzes machen, den wir heute erwirtschaften !«
Irene wollte von solchen Plänen allerdings nichts hören. Schließlich wäre sie es gewesen, an der der Großteil der Verwaltungsarbeit hängen geblieben wäre. Ich hatte deshalb oft das Gefühl, dass sie mich in meinem Tatendrang eher bremste. Insgeheim immer und manchmal auch explizit warf ich ihr vor, bei der Weiterentwicklung von »Karl Rabeder Kunsthandwerk« ständig auf dem Bremspedal zu stehen. Im Nachhinein bin ich allerdings zutiefst dankbar dafür. Schließlich blieb so mehr Zeit zum Segelfliegen. Damals aber hätte ich ihr gelegentlich am liebsten eine unserer Kerzen auf den Bürostuhl gestellt, um ihr etwas Feuer unter dem Hintern zu machen – selbstverständlich nur im übertragenen Sinne.
Auch so wussten wir unsere Zeit ja sinnvoll zu nutzen, zum Beispiel mit einem Urlaub in Neuseeland, der mich ungeplant zum Inhaber zweier Weltrekorde machte, die mir bis zum Ende meiner Tage niemand mehr wird nehmen können. Denn kurz nachdem ich sie aufgestellt hatte, wurden die sogenannten »Segelflugzeuge mit Klapptriebwerk« nicht mehr als eigene Klasse geführt, somit kann darin niemand mehr meinen Weltrekord knacken.
Dazu war es so gekommen: Wir saßen gemeinsam mit meinem Freund Justin, einem gebürtigen Engländer, der in Neuseeland eine Schafzucht betrieb, auf dessen Farm. Er war der bessere »Vogel« von uns beiden, hatte an diesem Tag aber schlicht weniger Glück. Der Wetterbericht hatte sehr spannende Bedingungen vorhergesagt: Wellenaufwinde, auf denen sich »reiten« lässt wie beim Surfen im Wasser. Wir beschlossen, von der Süd- auf die Nordinsel zu fliegen, das ist eine Strecke von mehr als 1000 Kilometern mit einer Passage von 50, 60 Kilometern, die übers Meer führt. Die beiden Inseln sind von ihrem Charakter sehr unterschiedlich. Die Südinsel erinnert teilweise sehr an Österreich, mit einer regenreichen, urwaldartigen Westseite, wo die feuchte Luft an die Berge anstößt und sich ausregnet. Auf der Ostseite der »Southern Alps« strömt die Luft als trockener Fallwind, ähnlich unserem Föhn, in die Täler und Becken und trocknet die Landschaft komplett aus. Dadurch, dass die Luft über die
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