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Wer nichts hat, kann alles geben

Wer nichts hat, kann alles geben

Titel: Wer nichts hat, kann alles geben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl Rabeder
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denn es steht ja ohnehin
das ganze Jahr im Stall. Und es braucht sich vor dem möglichen Tod durch den Jäger nicht zu fürchten. Denn sein unnatürlicher Tod ist ausgemacht: im Schlachthof, meist schon nach nur einem Jahr Lebenszeit.
    Das Wildschwein lebt die ganze Zeit in Freiheit, muss sich bei der Futtersuche etwas mehr anstrengen. Und ja, es lebt mit dem geringen Risiko, durch eine Kugel des Jägers vorzeitig sterben zu müssen. Das Mastschwein dagegen führt ein tristes Leben, dessen Wert einzig darin liegt, eine verwertbare Leistung zu erbringen – nämlich sich selbst. Warum, so lautete die abschließende Frage des Referenten, haben sich dann so viele Menschen dazu entschieden, als Mastschweine zu leben? Als er den Raum verließ, hinterließ er etliche betretene Gesichter.
    So gesehen waren im August 2010 einige Fernsehteams und Journalisten sowie ein Notar in meinem Stall in Telfs versammelt, in dem ich selbst so viele Jahre als Hausschwein gelebt hatte. Nun stand die Verlosung des Hauses an; sie fand im Wohnzimmer statt, mit Blick auf die Berge. Alle 21 999 Lose waren verkauft, unter den Käufern waren sowohl welche, die im Glücksfall einziehen wollten, als auch solche, die vorhatten, es gleich wieder zu verkaufen und den Gewinn an MyMicroCredit zu spenden. Einige der Interessenten hatte ich bei mehreren Tagen der offenen Tür kennenlernen dürfen. Sie spazierten durch das, was einmal mein Zuhause gewesen war, inspizierten die Bar im Garten und die Fitnessräume. Manche interessierten
sich für meine Projekte und meine Geschichte, anderen dagegen war ich völlig egal. Innerlich hatte ich mich längst von diesem Haus verabschiedet. Es wäre ja fatal gewesen, im Moment der Verlosung im Wohnzimmer zu stehen mit einem klammen Gefühl im Bauch, weil damit der Auszug besiegelt sein würde. Dann hätte ich diesen Weg nicht beschreiten dürfen.
    Ich war selbst sehr gespannt, an wen ich meine Schlüssel würde übergeben können. Unter Aufsicht des Notars wurden der Reihe nach fünf Ziffern gezogen. Und als wollte mich das Schicksal nachträglich noch einmal darin bestätigen, dass es richtig gewesen war, unsere Aktivitäten auf Deutschland auszuweiten, bekam niemand aus Österreich den Zuschlag, sondern eine Frau aus Bayern. Nachdem ich ihre Nummer gewählt hatte, hörte ich eine zunächst fassungslose Dame am Telefon, die ihr Glück kaum glauben konnte.
    Als die Medienvertreter mein Haus wieder verlassen hatten, saß ich einen Moment lang allein im Wohnzimmer, das nun nicht mehr meines war. Mit dieser Verlosung war der letzte Schritt hinaus aus meinem alten Leben vollzogen. Doch trotz seiner Bedeutung haftete diesem Moment nichts Besonderes, nichts Dramatisches an. Im Film würde man in einer solchen Szene großes Gefühl in C-Dur hören, mit Pauken und Trompeten. Die Kamera würde dem Protagonisten ganz nah kommen, so dass man die Augen sehen kann, und dann in die Ferne schwenken. Doch ich saß einfach nur da und wusste, dass alles gut ist. Nun konnte ich endlich in mein neues Leben starten. 225

    In den folgenden Tagen besprach ich mit der Gewinnerin die Modalitäten meines Auszugs. Mir blieben noch ein paar Wochen Zeit, um meine Sachen zu packen. Die spannendste Erkenntnis in dieser Zeit war, zu sehen, was ich alles nicht mehr brauchte und wie leicht es mir fiel, mich von vielen Dingen zu trennen, zum Beispiel Businessklamotten, die ich nicht mehr tragen wollte, oder Trophäen, Urkunden und andere Beweise meines Erfolgs. Ich ließ weit mehr zurück als ursprünglich geplant. Was ich mitnahm, passte in ein paar Packtaschen und Kartons. Doch wohin jetzt?
    Mein Wunsch war, eine ganz einfache Bleibe zu finden, irgendwo, Hauptsache in der Natur, weit weg von der Stadt. Ich wurde fündig bei einer Frau, die neben ihrem Bauernhaus eine kleine Hütte zu vermieten hatte. Normalerweise übernachteten hier Wanderer, wenn sie einen typischen Tiroler Bergurlaub erleben wollten. Auf 19 Quadratmetern verteilen sich vier Räume. Es gibt dort: ein Badezimmer mit Toilette, eine schmale Küchenzeile. Gegenüber ein Boiler und ein Schrank, der gleichzeitig Raumteiler zwischen Wohn- und Esszimmer ist, an das der Schlafbereich anschließt. Mit einer Terrasse davor und einem Blick in die Unendlichkeit.
    Als ich meine erste Nacht dort verbrachte, hatte ich das Gefühl, wirklich im Jetzt angekommen zu sein. Schon mein Eintreffen dort war fantastisch. Ich erreiche die Hütte nach einem Gleitschirmkurstag und höre ein ganz zartes

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