Wer paßt schon gern auf Mädchen auf?
Schönes.“
Stina schüttelte den Kopf.
„Bitte, bitte“, schrie Jan.
Es war unheimlich, wie hartnäckig dieses kleine Mädchen schwieg.
Jan zog ihr die Jacke aus. Dann kniete er sich auf den Boden und zerrte an ihren Stiefeln. Mit einem Ruck gelang es ihm endlich, sie herunterzureißen.
Dabei fiel Stina hin und schlug mit dem Kopf gegen die Wand.
„Das wollte ich nicht“, entschuldigte sich Jan. „Tut es sehr weh? Bitte, weine nicht!“
Stina hatte Tränen in den Augen, und ihre Nase tropfte.
Jan holte das Geschirrtuch und wischte ihren Schokoladenschnurrbart weg. „Putz dir die Nase“, befahl er.
Stina drehte den Kopf zur Seite.
Jan gab es auf. Er legte das Bügelbrett über die Stühle und baute den Kaufmannsladen wieder auf, den er zerstört hatte, bevor Stina ausriß. Er leerte sogar sein Sparschwein, damit sie richtiges Geld hatten. Mamas Nähkasten wurde zur Kasse: Garnrollen, Nähseide, Stopfgarn und Nadelkissen schüttete Jan auf das Sofa. Dann sammelte er noch die Bauklötze und Zuckerstücke auf.
„Was darf es sein, liebe Frau?“ rief Jan.
Die Antwort lautete: „Zwei hungrige Kinder. Das Essen ist gleich fertig.“
Mama war also nach Hause gekommen. Sie sagte kein Wort davon, daß Jan und Stina draußen gewesen waren. Sie benahm sich Jan gegenüber sogar besonders nett. Sie streichelte im Vorbeigehen seine Wange und küßte ihn auf die Stirn.
Die Kinder waren gar nicht hungrig. Sie hatten ja erst vor kurzem Kuchen und Brötchen gegessen.
Stina aß langsam und kaute träge. Nachdem sie einen Kotelettknochen abgenagt hatte, murmelte sie vor sich hin: „Alte Schachtel ist bestimmt ein häßliches und gemeines Wort.“
Jan wurde so feuerrot, daß seine Ohren brannten.
„Hast du dich wieder über die arme, alte Frau unter uns beschwert?“ fragte Mama vorwurfsvoll.
Jan wollte ablenken und über etwas anderes sprechen: „Was bedeutet: keine große Leuchte? Papa sagte das einmal von Peter.“
„Dann hatte Peter sicher wieder etwas vergessen“, antwortete Mama. „Er ist ein netter und freundlicher Junge, aber schrecklich vergeßlich.“
Wie gut, daß Peter vergessen hatte, Jans Bitte auszurichten. Mama hätte sich bestimmt furchtbar aufgeregt. Während Jan am Abend badete, erzählte er alles seinem Vater.
Papa betrachtete nachdenklich das Boot, das in der Wanne segelte. Er hatte es zusammen mit Jan gebaut. Schließlich sagte er: „Wie können wir euch beide jemals wieder allein lassen?“
Papa schimpfte überhaupt nicht.
Eigentlich ist Stina nicht so schlimm
Auf der Straße, in der Jan wohnte, ging es laut zu. Das war ihm bisher nicht aufgefallen.
Aber in dieser Nacht wachte Jan immer wieder auf, weil Straßenbahnen bimmelten, Autos bremsten, Reifen quietschten und Krankenwagen heulten.
Jan hielt sich die Ohren zu.
Ein andermal fuhr er aus dem Schlaf, weil jemand gegen sein Bett rumpelte. Kalte Finger strichen über sein Gesicht.
Jan zog schnell die Bettdecke über den Kopf. Sein Herz klopfte bis zum Hals. Er bekam einen Schluckauf.
Er hatte keine Angst vor der Dunkelheit. Er nicht. Aber die kalten Finger waren unheimlich.
Plötzlich fiel ihm ein, daß Stina bei ihnen wohnte und in seinem Zimmer schlief. Er hatte geträumt und sie völlig vergessen.
Jetzt kroch Stina auch noch in sein Bett. Sie eroberte sich Kopfkissen und Decke und schmiegte sich ganz eng an Jan. Sie wärmte ihre kalten Füße an seinen warmen Beinen. Und dann schlief sie sofort.
Aber Stina lag nicht still. Sie fuchtelte mit den Armen und strampelte mit den Beinen, als ob sie lief. Sie atmete hastig dabei.
Ihr dünnes Haar kitzelte Jan an der Nase. Sie roch nach Babyseife.
So ähnlich mußte es sein, einen Hund bei sich zu haben, dachte Jan-nur viel, viel schöner. Einen Hund konnte er ins Körbchen jagen.
Stina hatte ja auch noch das andere Bett, in dem Jan geschlafen hatte, als er noch ganz, ganz klein war.
Aber Jan jagte sie nicht weg.
Vielleicht träumte sie, daß jemand hinter ihr her war oder daß eine Straßenbahn kam — oder daß sie sich verlaufen hatte.
Als Mama am Morgen hereinkam, war Jan furchtbar müde.
Stina hatte rote Wangen und leuchtende Augen. Sie war vergnügt und strahlender Laune.
Eines Tages durften Jan und Stina in den Park gehen.
„Du mußt auf Jan hören, meine Kleine“, mahnte Mama. „Er kennt sich nämlich im Straßenverkehr sehr gut aus, weißt du.“
Stina war gehorsam. Den ganzen Weg hielt sie ihren Vetter fest an der Hand.
Manchmal zwickte sie
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