Wer paßt schon gern auf Mädchen auf?
heranzuschleichen und sie zu erschrecken. Er wollte sie am Kragen packen und schütteln — so, wie es der böse, unfreundliche Mann mit ihm gemacht hatte. Dann würde er sie anschreien: „Du dummes Kind. Wenn du mir nicht gehorchst, darfst du niemals in deinem Leben ins Kino.“
Ein großer Junge und ein großes Mädchen schlenderten Arm in Arm zum Kino. Jan duckte sich und ging hinter ihnen her.
Stina bemerkte ihn erst, als er vor ihr stand. Sie schrie nicht und lief auch nicht weg. Sie schmiegte sich nur schutzsuchend an die Frau im grünen Mantel, die immer noch da war.
„Was machst du denn da, meine Kleine?“ fragte die Frau erstaunt. Sie wußte offenbar nicht, daß Stina ihr von der Straßenbahnhaltestelle zu Hause bis hierher gefolgt war.
„Der Junge schlägt mich“, behauptete Stina.
Jan blickte sie entsetzt an. Wie verlogen Stina war! Dabei war sie noch keine sechs Jahre alt.
Die Frau sah Jan an und rümpfte die Nase. Als würde er stinken.
Zuerst brachte Jan keinen Ton heraus. Dann stammelte er: „Ich habe ihr nur ein Bein gestellt. Außerdem ist Stina viel stärker als mich.“
„Als ich heißt das“, verbesserte ihn die Frau in dem grünen Mantel. „Du solltest dich schämen! So ein großer, starker Junge wie du will ein kleines, schwaches Mädchen verhauen.“ Sie legte schützend den Arm um Stina und sagte: „Weißt du was? Wir beide gehen jetzt in ein Café und essen Kuchen. Dann erzählst du mir, wo du wohnst, und ich rufe deine Mutti an. Ist das nicht fein?“
Stina lutschte ängstlich am Daumen. Aber sie ging mit.
Heiße Schokolade für Jan und Stina
Jan stand allein vor dem Fenster. Wenn er sich ein wenig streckte, sah er über eine Sahnetorte in das Innere des Cafés. Dort hingen der grüne Mantel und Stinas rote Jacke.
Stellte Jan sich auf die Zehenspitzen, erspähte er zwischen zwei hohen Tortenständern hindurch Stinas helle Haare und das Gesicht der Frau.
Er wollte sagen: „Dummes, albernes Mädchen“ und „böse, unfreundliche Frau“. Aber es gelang ihm nicht.
In der Ferne heulte die Sirene eines Krankenwagens. Sie galt keinem kleinen Mädchen, das noch nie in der Stadt war und nicht weiß, daß Autos und Straßenbahnen gefährlich sind.
Jan fror und schwitzte gleichzeitig. Er war erleichtert und fast ein bißchen glücklich.
Natürlich mochte Jan seine Kusine immer noch nicht. Er konnte nicht vergessen, daß sie die „Überraschung“ war.
Und doch freute er sich, daß sie in dem schönen, vornehmen Café saß.
Auf den Tischen standen Kerzen.
Stina trank warme Schokolade mit Schlagsahne und aß Himbeertorte. Sie umklammerte ihren Becher mit beiden Händen.
Jan spürte, wie herrlich es war, die eiskalten Finger um etwas Warmes zu pressen. Er
bewegte seine steif gefrorenen Zehen, wärmte mit dem Atem seine blauen Hände und zog den Kopf tiefer ein.
Was sollte er jetzt bloß tun?
Er hatte ein schlechtes Gewissen. Er wagte nicht, seine Augen zu schließen. Er wußte, daß dann wie im Fernsehen oder im Kino ein Film vor ihm ablief.
Mama eilt aus dem Geschäft nach Hause, öffnet die Tür und geht in das unaufgeräumte Kinderzimmer. Weder Stina noch Jan sind da. Arme Mama! Papa steht im Laden. Er hat seinen weißen Kittel an, wiegt Kartoffeln ab und verkauft frische Bratwurst, als er erfährt, daß die Kinder verschwunden sind.
Jan mußte unbedingt Mama und Papa anrufen.
An der Ecke war eine Telefonzelle. Aber Jan wußte nicht, wieviel Geld er einwerfen mußte.
Die Frau im grünen Mantel hatte zwar gesagt, daß sie anrufen würde. Aber Stina kannte die Nummer nicht. Und während Jan telefonierte, ging die Frau vielleicht mit Stina weg.
Jetzt freute sich Jan nicht mehr. Er wollte brüllen und trampeln.
Es war haarsträubend, wie dumm Stina sich benahm.
Ein großer Junge auf einem Lieferfahrrad bremste plötzlich scharf.
Jan wurde vollgespritzt. Sogar ins Gesicht bekam er das schmutzige Wasser.
Der Junge pfiff laut auf zwei Fingern.
Jan wollte ihm genauso antworten. Aber er brachte nur ein klägliches Zischen zustande.
Der große Junge mit den langen, strähnigen Haaren und den vielen Pickeln im Gesicht sah nicht gerade gut aus. Aber Jan gefiel er. Er hieß Peter und fuhr Waren aus für Jans Vater.
„Hier schwänzt doch jemand die Schule“, meinte Peter verschmitzt.
„Ich schwänze nicht. Ich bin krank“, verteidigte sich Jan.
„Dann mußt du im Bett bleiben. Paß auf, daß ich es nicht deiner Mutter erzähle.“
„Tu das“, sagte Jan.
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