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Wer regiert die Welt? – Warum Zivilisationen herrschen oder beherrscht werden

Wer regiert die Welt? – Warum Zivilisationen herrschen oder beherrscht werden

Titel: Wer regiert die Welt? – Warum Zivilisationen herrschen oder beherrscht werden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ian Morris
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gehörte zu einem etwa 1,50 Meter großen Kind, das, wäre es ausgewachsen, etwa 1,80 Meter groß geworden wäre. Seine Knochen waren nicht nur länger, sondern auch weniger robust als die von
Homo habilis
, woraus zu schließen ist, dass dieser Junge und seine Zeitgenossen sich mehr auf ihre geistigen Fähigkeiten und ihre Werkzeuge verlassen haben als auf rohe Kraft.
    Die meisten von uns denken, geschickt und gescheit zu sein, sei selbstverständlich von Vorteil. Wenn dem so wäre, warum hat
Homo habilis
, wo er doch schon das Potenzial gehabt hätte, sich in diese Richtung zu entwickeln, eine halbe Million Jahre herumgewerkelt, bevor er sich »plötzlich« in ein größeres Geschöpf mit größerem Gehirn verwandelt hat? Die wahrscheinlichste Erklärung liegt wohl in dem Faktum, dass es nichts umsonst gibt. Und es ist aufwändig, ein großes Gehirn am Leben zu erhalten. Unser Gehirn macht etwa zwei Prozent unseres Körpergewichts aus, verbraucht aber bis zu 20 Prozent der Energie, die wir insgesamt konsumieren. Große Gehirne bringen noch weitere Probleme mit sich: Der Schädel muss wachsen, damit er es aufnehmen kann – und er wurde so groß, dass die heutigen Frauen Schwierigkeiten haben, Babys durch den Geburtskanal zu pressen. Sie umgehen das Problem, indem sie ihre Kinder unreif zur Welt bringen. Würden unsere Babys solange im Mutterleib bleiben, bis sie sich – wie der Nachwuchs anderer Säugetiere – selbst erhalten könnten, wäre ihr Kopf zu groß, um aus dem Leib herauszukommen.
    |54| Dennoch müssen riskante Geburten, jahrelange Aufzucht und große Gehirne, die ein Fünftel der von uns aufgenommenen Nahrung verbrennen, durchaus das Richtige für uns gewesen sein – richtiger jedenfalls, als die gleiche Energie dazu zu nutzen, um Klauen auszubilden, mehr Muskeln oder große Zähne. Intelligenz ist ein größeres Plus als jede dieser Alternativen. Fraglicher dagegen scheint, warum eine genetische Mutation, die vor einigen Millionen Jahren zu einem größeren Gehirn führte, den Affenmenschen damals schon so viele Vorteile brachte, dass sich der größere Energieaufwand gelohnt hat. Das muss aber der Fall gewesen sein. Denn wären höhere Intelligenz und größeres Geschick nicht zumindest so nützlich gewesen, dass der zur Erhaltung der grauen Zellen höhere Energieaufwand ausgeglichen werden konnte, dann wären die gescheiten Affen weniger erfolgreich gewesen als ihre dumpferen Verwandten und ihre smarten Gene rasch wieder aus der Population verschwunden.
    Vielleicht war an allem ja das Wetter schuld. Als der Regen ausblieb und die Bäume, in denen die Affenmenschen gelebt hatten, zu verkümmern begannen, könnten die gescheiteren und möglicherweise auch geselligeren Mutanten einen Vorsprung vor ihren affenartigeren Verwandten errungen haben. Anstatt sich aus dem offen liegenden Grasland zurückzuziehen, fanden die klügeren Affen Wege, genau dort zu überleben. Und während eines Wimpernschlags (auf der Zeitachse der Evolution) verbreitete eine Handvoll Mutanten ihre Gene im gesamten Pool und verdrängten
Homo habilis
, der langsamer dachte, kleiner war und den Wald liebte.
    Zum ersten Mal Ost und West?
    Ob ihre Lebensräume übervölkert waren, ob es Zank gab zwischen den Gruppen, ob sie einfach neugierig waren – in jedem Fall haben die neuen Affenmenschen als Erste ihrer Art Ostafrika verlassen. Überall wurden ihre Knochen gefunden: von der Südspitze des Kontinents bis zu den Pazifikküsten Asiens. Dennoch sollten wir uns keine großen Wanderungswellen vorstellen, nichts in der Art des
Westward ho
der Wildwestfilme. Die Affenmenschen werden wohl kaum gewusst haben, was sie tun; zudem erforderte die Überwindung so großer Entfernungen noch größere Zeitspannen. Von der Olduvai-Schlucht nach Kapstadt in Südafrika ist es ein weiter Weg – über 2500 Kilometer –, doch um diese Strecke in 100   000 Jahren zu überwinden (allem Anschein nach dauerte es tatsächlich so lange), mussten die Affenmenschen wohl nichts anderes tun, als den Raum ihrer Nahrungssuche jedes Jahr um durchschnittlich 35 Meter in eine Richtung zu erweitern. Hätten sie sich mit der gleichen Geschwindigkeit nach Norden treiben lassen, hätten sie auch die Schwelle zu Asien erreicht; und tatsächlich wurde 2002 bei Grabungen in der Nähe von Dmanissi in der heutigen Republik Georgien ein 1,7 Millionen Jahre alter Schädel gefunden, der Eigenschaften des
Homo habilis
|55| und der neueren Affenmenschen vereinte.

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