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Wer regiert die Welt? – Warum Zivilisationen herrschen oder beherrscht werden

Wer regiert die Welt? – Warum Zivilisationen herrschen oder beherrscht werden

Titel: Wer regiert die Welt? – Warum Zivilisationen herrschen oder beherrscht werden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ian Morris
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denn damit lassen sich Vorurteile, Gewalttätigkeiten und sogar Genozide rechtfertigen. Vielleicht denken Sie, man solle nicht zuviel Zeit auf die Auseinandersetzung mit dieser Art von Theorien verwenden, das fördere nur Intoleranz und Selbstgerechtigkeit; vielleicht wäre es besser, sie einfach zu ignorieren. Das, denke ich, wäre ein Fehler. Es reicht nicht, rassistische Theorien zu ächten. Wenn wir sie wirklich zurückweisen und ihnen die Theorie entgegensetzen wollen, dass Menschen (in großen Gruppen betrachtet) mehr oder weniger gleich sind, dann müssen wir zeigen, dass rassistische Theorien falsch sind, und sie widerlegen. Dass heute die meisten von uns solche Theorien nicht mögen, reicht nicht aus.
    Grundsätzlich wissen wir nicht, ob es vor rund 1,5 Millionen Jahren nur eine Art von Affenmenschen auf der Erde gegeben hat – was bedeuten würde, dass sie sich (wiederum in großen Gruppen betrachtet) von Afrika bis Indonesien weitgehend glichen – oder ob
Homo ergaster
westlich der Movius-Linie und
Homo erectus
östlich davon gelebt haben: als jeweils eigene, klar unterschiedene Arten. Nur weitere Forschungen können diese Frage klären. Wir wissen allerdings, und zwar ohne jeden Zweifel, dass sich innerhalb der letzten Million Jahre im Osten und im Westen tatsächlich unterschiedliche Arten von Affenmenschen entwickelt haben.
    Vermutlich haben die geographischen Bedingungen eine Menge damit zu tun. Die Affenmenschen, die vor rund 1,7 Millionen Jahren auf ihren Wanderungen |59| Afrika verließen, waren sehr gut an subtropische Klimata angepasst, als sie aber weiter nordwärts zogen, hinein nach Europa und Asien, mussten sie längere und härtere Winter überstehen. Wie ihre afrikanischen Vorfahren lebten sie unter freiem Himmel, und das wurde, als sie sich der Linie von etwa 40° nördlicher Breite näherten (eine Linie vom Norden Portugals bis nach Beijing, vgl. Abbildung 1.1), zunehmend unpraktikabel. Soweit wir wissen, lag das Bauen von Hütten und das Anfertigen von Bekleidung jenseits ihrer mentalen Fähigkeiten, auf eine Lösung jedoch werden sie gekommen sein: Sie suchten Schutz in Höhlen. So wurden die Höhlenmenschen geboren, von denen man uns in unserer Kindheit erzählte.
    Das Leben in Höhlen war keine reine Wohltat für die Affenmenschen, denn sie mussten sich diesen Lebensraum mit Bären und löwengroßen Hyänen teilen, die mit ihren Zähnen Knochen zermalmen konnten. Für Archäologen jedoch erweist sich diese neue Lebensform als Gottesgeschenk, denn in Höhlen erhalten sich prähistorische Ablagerungen gut. Und das wiederum versetzt uns in die Lage zu verfolgen, wie die Evolution der Affenmenschen einen in den östlichen und westlichen Teilen der Alten Welt jeweils eigenen Verlauf zu nehmen begann. Auslöser waren unterschiedliche Formen der Anpassung an das kältere Klima.
    Die für das Verständnis der östlichen Affenmenschen bedeutendste Fundstelle liegt bei Zhoukoudian nahe Beijing, genau auf dem 40. Breitengrad, und war mit Unterbrechungen von 670   000 bis 410   000 v. u. Z. besiedelt. Die Geschichte ihrer Ausgrabung hat durchaus epische Züge, und sie liefert die Vorlage für Amy Tans Roman
Die Tuschezeichnung
. Während europäische, amerikanische und chinesische Archäologen zwischen 1921 und 1937 die Höhlen in den Bergen bei Zhoukoudian ausgruben, geriet die Grabungsstätte in die Frontlinie des unerbittlich geführten Bürgerkriegs zwischen Nationalisten, Kommunisten und einheimischen Warlords. Die Grabenden arbeiteten häufig im Lärm der Geschütze und Gewehre, und wenn sie ihre Funde ins 40 Kilometer entfernte Beijing bringen wollten, mussten sie Banditen und deren Straßensperren umgehen. Mit dem Einmarsch der Japaner in China kam das Projekt endgültig zum Erliegen. Zhoukoudian wurde zur Basis kommunistischer Widerstandskämpfer, und japanische Soldaten folterten und ermordeten drei Mitglieder des Grabungsteams.
    Es sollte noch schlimmer kommen. Im November 1941, als ein Krieg zwischen Japan und den Vereinigten Staaten immer wahrscheinlicher wurde, entschloss man sich, die Funde nach New York in Sicherheit zu bringen. Techniker packten sie in zwei große Kisten, die ein Wagen der amerikanischen Botschaft aus Beijing abholen sollte. Bis heute weiß man nicht, ob der Wagen jemals ankam oder wohin er, wenn er denn kam, die Kisten brachte. Einer Geschichte zufolge fingen japanische Soldaten die US-Marines, die die Funde sichern sollten, just in dem Augenblick ab, als die

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