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Wer regiert die Welt? – Warum Zivilisationen herrschen oder beherrscht werden

Wer regiert die Welt? – Warum Zivilisationen herrschen oder beherrscht werden

Titel: Wer regiert die Welt? – Warum Zivilisationen herrschen oder beherrscht werden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ian Morris
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Louis und Mary Leakey, die berühmten Ausgräber in der Olduvai-Schlucht in Tansania (Abbildung 1.1), nannten diese Kreaturen, die ein ziemlich großes Gehirn hatten und zudem Werkzeuge benutzten,
Homo habilis
, lateinisch für »geschickter Mensch«.

    [Bild vergrößern]
    Abbildung 1.1: Bevor »Osten« und »Westen« viel bedeuteten
    Stätten in der Alten Welt, die in diesem Kapitel erwähnt werden.
    |52| Als
Homo habilis
über die Erde spazierte, hatten Ost und West noch keine große Bedeutung. Erstens, weil diese Geschöpfe ausschließlich in den Wäldern Ostafrikas lebten und sich noch keine regionalen Variationen entwickelt hatten; zweitens, weil die Formulierung »über die Erde spazierte« wohl eher ein Euphemismus ist. Die geschickten Menschen hatten Zehen und Gelenke wie wir, und sie sind mit Gewissheit aufrecht gelaufen, doch ihre langen Arme legen nahe, dass sie noch ziemlich viel Zeit in den Bäumen verbrachten. Es waren wohl besondere Affen, aber auch nicht mehr. Die Spuren, die ihre Steinwerkzeuge an Tierknochen hinterließen, zeigen, dass
Homo habilis
sich sowohl von Fleisch als auch von Pflanzen ernährte, allem Anschein nach aber lebte er auch ziemlich weit unten in der Nahrungskette. Einige Paläoanthropologen vertreten die Theorie, Menschen seien ihrer Art nach Jäger; ihrer Meinung nach war
Homo habilis
geschickt und mutig genug, um mit nichts anderem bewaffnet als mit Stöcken und kantig geschlagenen Steinbrocken Wild zu töten. Andere wiederum betrachten
Homo habilis
(wohl überzeugender) als Resteverwerter, der den wahren Raubtieren (Löwen etwa) folgte und von dem lebte, was diese übrig ließen. Man hat Spuren, die
Homo habilis
mit seinen Werkzeugen auf Tierknochen hinterlassen hat, mikroskopisch untersucht und herausgefunden, dass sie zumindest vor denen der Hyänenzähne dorthin kamen.
    25   000 Generationen lang tollten Gruppen des
Homo habilis
in dieser kleinen Ecke der Welt herum und schwangen sich durch die Bäume, schlugen sich Steinwerkzeuge zurecht, lausten einander und zeugten Nachwuchs. Dann, irgendwann vor rund 1,8 Millionen Jahren, verschwanden sie. Und zwar, soweit wir das beurteilen können, ziemlich plötzlich; allerdings gehört die genaue Datierung von Funden zu den Schwierigkeiten und Problemen beim Studium der menschlichen Evolution. In vielen Fällen sind wir davon abhängig, dass in den Gesteinsschichten, die fossile Knochen oder Werkzeuge enthalten, auch instabile radioaktive Isotopen zu finden sind, deren Zerfallszeiten bekannt sind, sodass man die Funde datieren kann, indem man das Verhältnis zwischen diesen Isotopen bestimmt. Diese Datierungen können jedoch Fehler enthalten, die sich im Bereich von einigen zehntausend Jahren bewegen. Darum kann, wenn wir sagen, die Welt des
Homo habilis
sei plötzlich zu Ende gewesen, dieses »plötzlich« ebenso gut einige wenige wie einige 1000 Generationen umfassen.
    Als Charles Darwin in den 1840er und 1850er Jahren über den Vorgang der natürlichen Selektion nachdachte, nahm er an, diese vollziehe sich durch allmähliche Akkumulation kleiner Veränderungen. In den 1970er Jahren jedoch machte |53| der Biologe Stephen Jay Gould geltend, dass die Evolution kein Ergebnis kleiner Schritte über einen langen Zeitraum hinweg sei, sondern dass irgendwelche Ereignisse eine Kaskade schneller Veränderungen auslöse. Evolutionsbiologen heute sind uneins darüber, welches das tauglichere Modell ist, ob schrittweise Veränderungen (Evolution durch Kriechen, wie deren Kritiker höhnen) oder Goulds »unterbrochenes Gleichgewicht« 5 (Evolution durch Sprünge). Zur Erklärung des Verschwindens von
Homo habilis
scheint Goulds Denkmodell aber geeigneter. Vor etwa 1,8 Millionen Jahren wurde das Klima in Ostafrika trockener, und offene Savannen entstanden dort, wo früher die Wälder gewesen waren, in denen die »geschickten Menschen« gelebt haben; und genau an diesem Punkt traten neue Arten von Affenmenschen 1* an seine Stelle.
    Ich möchte diesem neuen Affenmenschen hier noch keinen Namen geben, sondern für den Augenblick nur festhalten, dass sie größere Gehirne (im Durchschnitt etwa 800 Kubikzentimeter Volumen) hatten als
Homo habilis
. Es fehlten ihnen auch die langen, schimpansenartigen Arme, was vermutlich bedeutet, dass sie die meiste Zeit auf dem Boden zubrachten. Außerdem waren sie größer. Ein rund 1,5 Millionen Jahre altes Skelett, das bei Nariokotome in Kenia gefunden wurde, bekannt als Turkana-(oder Nariokotome-)Boy,

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