Wer regiert die Welt? – Warum Zivilisationen herrschen oder beherrscht werden
Steinwerkzeuge aus China und fossile Knochen aus Java (das damals noch mit dem asiatischen Festland verbunden war) könnten etwa ebenso alt sein, und dies würde bedeuten, dass die Affenmenschen, nachdem sie Afrika verlassen hatten, ihre Wandergeschwindigkeit erhöht hätten, auf durchschnittlich fabelhafte 140 Meter im Jahr. 1*
Die Erwartung wäre nicht unrealistisch, dass sich, nachdem die Affenmenschen Ostafrika verlassen hatten und sich durch die warmen subtropischen Breiten bis nach China verbreiteten, westliche und östliche Formen des Lebens unterscheiden ließen. Für die Zeit vor 1,6 Millionen Jahren verzeichnen archäologische Inventare tatsächlich östliche und westliche Muster. Gleichwohl ist zu fragen, ob diese Unterschiede bedeutsam genug sind, um dahinter unterschiedliche Lebensweisen vermuten zu dürfen.
Bekannt sind diese Unterschiede seit den 1940er Jahren, als Hallam Movius, ein Archäologe aus Harvard, feststellte, dass die Knochen der neuen, klügeren Affenmenschen häufig in Verbindung mit Steinwerkzeugen gefunden wurden, die mit einer neuen Abschlagtechnik hergestellt worden waren. Die signifikantesten dieser Werkzeuge haben die Archäologen zur Leitform der Altsteinzeitperiode des Acheuléen erklärt, die ihren Namen Saint-Acheul verdankt, einem Vorort von Amiens, wo man diese Werkzeuge zum ersten Mal in großer Zahl fand. Es handelt sich um Faustkeile (englisch
handaxes
): »Keile«, weil die Steingeräte zwar wie Axtköpfe geformt waren, ganz offensichtlich aber nicht nur zum Spalten, sondern auch zum Schneiden, Stoßen und Hämmern verwendet wurden; »Faust« erinnert daran, dass sie in der Hand geführt und nicht an Stielen befestigt wurden. Diese Werkzeuge als Artefakte zu bezeichnen, mag übertrieben erscheinen, doch mit ihrer einfachen Symmetrie sind sie sehr viel schöner als die rohen Klingen und Hackwerkzeuge von
Homo habilis
. Wie Movius feststellte, wurden die Faustkeile des Acheuléen zwar an Fundorten in Afrika, Europa und Südwestasien gefunden, in Südostasien dagegen an keiner Stelle. Dort fand man gröber gefertigte Werkzeuge, die denen des Prä-Acheuléen ähneln, die in Afrika ausgegraben worden sind und dem
Homo hablis
zugeschrieben werden.
Sollte die so genannte Movius-Linie (Abbildung 1.2) tatsächlich den Beginn der Trennung von östlichen und westlichen Lebensweisen markieren, könnte dies für eine in der Zeit erstaunlich weit zurückreichende Determinierung sprechen – für eine Theorie, der zufolge sich, kaum dass die Affenmenschen über die Grenzen Afrikas hinaus vorgedrungen waren, auch zwei Kulturkreise herausgebildet haben: die westlichen, technisch fortgeschritteneren Faustkeil-Kulturen des Acheuléen in Afrika und Südwestasien und die östlichen, technisch weniger entwickelten Abschlag- und Chopper-Kulturen in Ostasien. Dann wäre es kein Wunder, dass heute der Westen die Welt regiert, hat er doch, wie man aus der |56| Movius-Linie schließen könnte, die Führung bereits seit 1,5 Millionen Jahren inne.
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Abbildung 1.2: Der Anfang von Osten und Westen?
Die Karte zeigt die Movius-Linie, die für rund eine Million Jahre die Faustkeil-Kulturen des Westens von den Abschlag- und Chopper-Kulturen des Ostens trennte.
Die Movius-Line festzulegen ist allerdings leichter, als sie zu erklären. Die frühesten in Afrika gefundenen Faustkeile des Acheuléen sind rund 1,6 Millionen Jahre alt, doch schon 100 000 Jahre zuvor gab es ja bereits Affenmenschen im georgischen Dmanissi. Der Befund ist eindeutig: Die ersten Affenmenschen haben Afrika verlassen, bevor der Faustkeil des Acheuléen zu ihrem normalen Werkzeugkasten gehörte. Es waren diese Gruppen, die Techniken des Prä-Acheuléen quer durch Asien getragen haben, während die westliche, afrikanische Region sich daran machte, die Werkzeuge des Acheuléen zu entwickeln.
Ein kurzer Blick auf Abbildung 1.2 zeigt jedoch, dass die Movius-Linie gar nicht Afrika von Asien trennt, sie verläuft vielmehr durch Nordindien. Das ist ein wesentliches Detail. Die ersten Auswanderer verließen Afrika,
bevor
der Acheuléen-Faustkeil entwickelt war, also muss es einander folgende Wellen der Auswanderung aus Afrika gegeben haben, deren spätere den Faustkeil nach Südwestasien und Indien gebracht haben. Darum müssen wir eine neue Frage stellen: |57| Warum haben diese späteren Wellen von Affenmenschen die Werkzeugindustrie des Acheuléen nicht noch weiter nach Osten getragen?
Die wahrscheinlichste Antwort
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