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Wer regiert die Welt? – Warum Zivilisationen herrschen oder beherrscht werden

Wer regiert die Welt? – Warum Zivilisationen herrschen oder beherrscht werden

Titel: Wer regiert die Welt? – Warum Zivilisationen herrschen oder beherrscht werden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ian Morris
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ersten Bomben auf Pearl Harbor fielen, nahmen sie gefangen und kümmerten sich nicht weiter um die unschätzbare Fracht. Ein Leben zählte nicht |60| viel in diesen dunklen Tagen, warum also sollte man sich besondere Gedanken um ein paar Kisten voller Steine und Knochen machen?
    Doch nicht alles ging verloren. Das Team von Zhoukoudian hatte seine Funde gewissenhaft veröffentlicht und bereits Gipsabgüsse der Knochen nach New York gesandt – ein frühes Beispiel dafür, wie klug es ist, seine Daten zu sichern. Diese Abgüsse ließen erkennen, dass sich der Peking-Mensch 1* (so nannten die Ausgräber die Affenmenschen von Zhoukoudian) vor 600   000 Jahren von großen, hoch aufgeschossenen Afrikanern wie dem Turkana-Boy unterschied: Er war von gedrungener Gestalt und darum der Kälte besser angepasst. Peking-Menschen waren ungefähr 1,65 cm groß und weniger behaart als moderne Affen. Wir bekämen gleichwohl einen Schrecken, würden wir einem dieser Gesellen plötzlich im Stadtzentrum begegnen. Peking-Menschen hatten kurze breite Gesichter mit niedriger flacher Stirn, schweren Augenwülsten und Brauen und einem mächtigen Unterkiefer mit stark fliehendem Kinn.
    Eine Unterhaltung mit einem Peking-Menschen käme kaum zustande. Soweit wir wissen, waren die Basalganglien des
Homo erectus
kaum entwickelt (die Teile des Gehirns, die es dem modernen Menschen ermöglichen, mit einer kleinen Zahl von Mundbewegungen eine unendliche Zahl distinkter Laute zu erzeugen). Das außergewöhnlich vollständig erhaltene Skelett des Turkana-Boys weist einen Nervenkanal auf (der das Rückenmark enthält), dessen Durchmesser um ein Viertel kleiner ist als beim modernen Menschen. Daraus wäre zu schließen, dass er seine Atmung nicht so genau kontrollieren konnte, dass er hätte sprechen können wie wir.
    Das mag so sein. Andere Funde jedoch legen – indirekt – nahe, dass die Affenmenschen der östlichen Alten Welt auf irgendeine Weise doch miteinander kommunizieren konnten. 1994 gruben Archäologen auf Flores, einer kleinen Insel vor Java, Artefakte aus, die 800   000 Jahre alte Steinwerkzeuge zu sein schienen. Zu dieser Zeit war Flores definitiv schon eine Insel, von Java durch zwölf Seemeilen offenen Meeres getrennt. Dann aber hat sich
Homo erectus
mit seinesgleichen zumindest so gut verständigen können, dass sie Boote herstellen, über den Horizont hinaus aufs offene Meer segeln und Flores besiedeln konnten. Das sagten die einen; andere Archäologen jedoch fanden die Vorstellung eines Boote bauenden
Homo erectus
völlig abwegig. Ihrer Meinung nach könnten die gefundenen »Werkzeuge« ebenso gut durch natürliche Vorgänge, also zufällig, in werkzeugähnliche Formen gespaltene Steine sein.
    Der Streit hätte, wie so viele Debatten der Archäologie, leicht in einer Sackgasse enden können, wären im Jahr 2003 auf Flores nicht weitere erstaunliche Funde gelungen. Mit Hilfe eines tief reichenden Echolots wurden acht Skelette aufgespürt, die alle auf 16   000 v. u. Z. datiert wurden. Sie waren nicht größer als 1,20 Meter, |61| aber alle ausgewachsen. Damals war gerade die erste von Peter Jacksons Verfilmungen von
Herr der Ringe
in die Kinos gekommen, und sofort nannten Journalisten diese kleinen Leute »Hobbits«, nach J. R. R. Tolkiens behaarten Halblingen. Werden Tierpopulationen auf Inseln isoliert, auf denen sie keine Fressfeinde haben, entwickeln sie sehr häufig Zwergformen; wahrscheinlich kamen auch die »Hobbits« auf diese Weise zu ihrer Zwergengestalt. Damit dies aber bis 16   000 v. u. Z. hatte geschehen können, müssen Affenmenschen Flores viele 1000 Generationen zuvor besiedelt haben – vielleicht sogar seit jenen 800   000 Jahren, von denen die 1994 gefundenen Steinwerkzeuge zeugen. Auch das würde bedeuten, dass
Homo erectus
über gewisse Fähigkeiten der Kommunikation verfügte.
    Wir müssen also davon ausgehen, dass sich die Affenmenschen von Zhoukoudian untereinander viel besser verständlich machen konnten als Schimpansen oder Gorillas; die Ablagerungen in der Höhle zeigen zudem, dass sie auch nach Belieben Feuer machen konnten. Zumindest in einem Fall haben Peking-Menschen den Kopf eines Wildpferdes geröstet. Schnitte am Schädelknochen zeigen, dass es ihnen auf Zunge und Gehirn ankam, die beide reich sind an Fett. Möglicherweise waren sie auch scharf auf das Gehirn ihrer Artgenossen, jedenfalls haben Archäologen in den 1930er Jahren aus der Art von Knochenbrüchen auf Kannibalismus und sogar auf

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