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Wer regiert die Welt? – Warum Zivilisationen herrschen oder beherrscht werden

Wer regiert die Welt? – Warum Zivilisationen herrschen oder beherrscht werden

Titel: Wer regiert die Welt? – Warum Zivilisationen herrschen oder beherrscht werden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ian Morris
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denen dann nach Bedarf und Belieben diverse Werkzeuge geschlagen wurden. Das kann nichts anderes heißen, als dass diese Art sehr viel besser als
Homo erectus
darüber nachdenken konnte, was sie von der Welt wollten und wie es sich erreichen ließ. Schon die Tatsache, dass der Heidelbergmensch bei Heidelberg hat überleben können, weit nördlich des 40. Breitengrads, deutet darauf hin, dass er viel geschickter war als ältere Affenmenschen.
    Die Bewohner Zhoukoudians haben sich zwischen 670   000 und 410   000 Jahren v. u. Z. wenig verändert, die westlichen Affenmenschen dagegen setzten in dieser Periode ihre Evolution fort. Wenn man einige 100 Meter in die dunklen Höhlen beim spanischen Atapuerca hineinkriecht, meist auf dem Bauch, manchmal auch mit Hilfe von Seilen, gelangt man an ein fast 13 Meter tiefes Loch, das Sima de los Huesos oder Grube der Knochen genannt wird. Zu Recht, denn dort fand man die dichteste Konzentration von Relikten der Affenmenschen, die je entdeckt wurde. Über 4000 Fragmente wurden seit den 1990er Jahren geborgen, die aus der Periode zwischen 600   000 und 564   000 Jahren v. u. Z. stammen. Die meisten Knochen gehören Jugendlichen oder jungen Erwachsenen. Was sie so tief unter der Erde getan haben, wird wohl ein Rätsel bleiben, doch Sima de los Huesos enthielt, wie auch ältere Ablagerungen in Atapuerca, Relikte erstaunlich unterschiedlicher Affenmenschen. Die spanischen Ausgräber klassifizierten die meisten als
Homo heidelbergensis
, viele ausländische Forscher halten sie eher für eine andere Spezies: für Neandertaler.
    Diese berühmtesten aller Höhlenmenschen wurden 1856 in einem Steinbruch im Neandertal bei Düsseldorf entdeckt. Dort fanden Arbeiter eine Schädelkappe und 15 weitere Knochen, die sie einem Lehrer präsentierten (Grabungen in den 1990er Jahren förderten weitere 62 Fragmente zutage). Der wiederum zeigte die Funde einem Anatomen, der sie, mit erstaunlichem Understatement, als »prägermanisch« einstufte.
    Die Funde von Atapuerca legen nahe, dass sich die Neandertaler im Zeitraum von einer Viertelmillion Jahren verbreiteten. Wahrscheinlich waren es weder Klimaveränderungen noch die Expansion in neue Lebensräume, die für Bedingungen gesorgt haben, unter denen einige wenige Mutanten entstehen und den Heidelbergmenschen schließlich verdrängen konnten, als vielmehr reine Zufallsabweichungen im genetischen Bestand der Population (
genetic drift
), aufgrund derer sich viele unterschiedliche Arten von Affenmenschen nebeneinander entwickelt haben. Die »klassischen« Neandertaler erschienen vor 200   000 Jahren und verbreiteten sich in den folgenden 100   000 Jahren über den größten Teil Europas bis hin nach Sibirien; China oder Indonesien allerdings haben sie, soweit wir wissen, nicht erreicht.
    Wie sehr nun unterschieden sich Neandertaler von Peking-Menschen? Sie waren in der Regel etwa gleich groß wie die östlichen Affenmenschen, sahen |64| aber mit ihrer fliehenden Stirn und dem schwach ausgeprägten Kinn womöglich noch primitiver aus. Sie hatten große Schneidezähne, häufig abgenutzt, weil sie als Werkzeug eingesetzt wurden. Eine hervortretende Gebisspartie und Nase prägten das Gesicht, wobei die große Nase als Anpassung an die Kälte im eiszeitlichen Europa interpretiert wird. Neandertaler waren schwerer gebaut als Peking-Menschen, hatten breitere Hüften und Schultern. Sie waren so stark wie Ringer, hatten die Ausdauer von Marathonläufern und waren wohl auch wilde Kämpfer.
    Obwohl ihre Knochen schwerer waren als die der meisten Affenmenschen, zogen sich Neandertaler häufig Verletzungen zu. Die Muster ihrer Knochenbrüche entsprechen, um einen modernen Vergleich zu geben, denen professioneller Rodeoreiter. Weil es vor 100   000 Jahren, zu Zeiten der Neandertaler, jedoch keine bockenden Wildpferde gab, von denen sie hätten stürzen können (moderne Pferde entwickelten sich nicht vor 4000 v. u. Z.), gehen Paläoanthropologen davon aus, dass sie sich ihre Verletzungen in Kämpfen zuzogen – in Kämpfen mit Artgenossen wie mit wilden Tieren. Neandertaler waren wilde Jäger; Analysen von Stickstoffisotopen in ihren Knochen haben ergeben, dass sie sich vor allem von Fleisch ernährten und einen erstaunlich hohen Anteil ihres Proteinbedarfs aus fleischlicher Nahrung bezogen. Archäologen hatten lange den Verdacht, dass die Neandertaler einen Teil ihres Bedarfs durch den Verzehr von Artgenossen deckten, so wie auch die Peking-Menschen. Funde, die

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