Wer regiert die Welt? – Warum Zivilisationen herrschen oder beherrscht werden
Formen der Kopfjägerei geschlossen. Eine in den 1980er Jahren durchgeführte Studie an den Gipsabgüssen ergab, dass die meisten Spuren an den Schädelknochen von Zähnen der riesigen prähistorischen Hyänen stammten und nicht von anderen Peking-Menschen; ein Schädel allerdings – von dem 1966 ein zusätzliches Fragment ausgegraben wurde – zeigt eindeutig Verletzungen durch Steinwerkzeuge.
Könnte man, statt irgendwo in der Stadtmitte auf einen Peking-Menschen zu treffen, mit einer Zeitmaschine zurückreisen in das Zhoukoudian vor einer halben Million Jahre, würde man dort eine verwirrende und beunruhigende Erfahrung machen. Man würde Höhlenmenschen sehen, die miteinander kommunizieren, und sei es durch Grunzen und Gestikulieren, aber man könnte mit ihnen nicht sprechen. Auch indem man Bilder malte, würde man sie nicht erreichen; wir haben keinerlei verlässliche Hinweise darauf, ob Kunst für
Homo erectus
von größerer Bedeutung war als für Schimpansen. Der Peking-Mensch, der sich im Osten der Alten Welt entwickelte, ist sehr verschieden von uns.
Die ersten Bewohner des Westens: der Neandertaler
Doch haben sich Peking-Menschen auch von den Affenmenschen unterschieden, die sich im Westen der Alten Welt entwickelten? Die ältesten Funde aus Europa – sie wurden 1994 in einer Kette von Höhlen bei Atapuerca in Spanien entdeckt – sind etwa 800 000 Jahre alt (stammen also ungefähr aus der Zeit, in der
Homo erectus
seine Boote bestiegen und Flores besiedelt haben könnte). In mancher |62| Hinsicht waren die Funde aus Atapuerca denen in Zhoukoudian ähnlich: Viele Knochen sind kreuz und quer von Steinwerkzeugspuren überzogen, wie sie ähnlich auch ein Metzger hinterlassen würde.
Die Hinweise auf Kannibalismus eroberten die Schlagzeilen, die Paläoanthropologen aber fanden die Frage aufregender, was die Funde in Atapuerca von denen aus Zhoukoudian unterschied. Die Schädel aus Atapuerca hatten einen größeren Hohlraum für das Gehirn, dazu ziemlich modern geformte Nasenbeine und Wangenknochen. Die Paläoanthropologen schlossen daraus, dass eine neue Art entstanden war, die sie
Homo antecessor
( »Urmensch«) nannten.
Homo antecessor
half zu verstehen, was es mit einer Folge von Funden auf sich hatte, die seit 1907 gemacht worden waren, als Arbeiter in einer Sandgrube in Deutschland einen merkwürdigen Unterkieferknochen gefunden hatten. Diese Art, nach der nahe gelegenen Universitätsstadt
Homo heidelbergensis
oder Heidelbergmensch genannt, sah
Homo erectus
sehr ähnlich, hatte allerdings einen Schädel, der mit hohen runden Schädelknochen und einem Gehirnvolumen von rund 1000 Kubikzentimetern – also deutlich größer als die durchschnittlich 800 Kubikzentimeter des
Homo erectus
– dem unseren schon ähnlich war. Wie es aussieht, hat sich das Tempo der evolutionären Veränderungen überall in der Alten Welt beschleunigt, nachdem der Affenmensch den kalten Norden erreicht hatte und mit völlig anderen klimatischen Verhältnissen konfrontiert war, unter denen zufällige genetische Mutationen gute Chancen hatten, sich durchzusetzen. 1*
Dafür jedenfalls haben wir einige unstrittige Fakten. Vor 600 000 Jahren, als
Homo heidelbergensis
die Bühne betrat und der Peking-Mensch in Zhoukoudian Herr im Hause war, gab es im Osten und im Westen der Alten Welt tatsächlich zwei definitiv unterschiedene Arten:
Homo erectus
mit einem kleineren Gehirn im Osten und im Westen, mit größerem Gehirn ausgestattet,
Homo antecessor
und
Homo heidelbergensis
.
Wobei, was das Gehirn anbelangt, Größe nicht alles ist. Anatole France hat den Nobelpreis für Literatur des Jahres 1921 mit einem Gehirn gewonnen, das nicht größer war als das des
Homo heidelbergensis
. Doch war dieser, wie es scheint, ein ganzes Stück geschickter und klüger als ältere Affenmenschen oder als sein Zeitgenosse Peking-Mensch. Bevor der Heidelbergmensch auftauchte, hatten sich die Steinwerkzeuge über eine Million Jahre kaum verändert, um 500 000 v. u. Z. jedoch fertigte
Homo heidelbergensis
dünnere und darum leichtere Exemplare, ihm gelangen feinere Abschläge, weil er weiche Hämmer (vermutlich aus Holz) verwendete und nicht mehr nur Steine aufeinander schlug. Dem könnte eine bessere |63| Koordination von Hand und Auge zugrunde gelegen haben. Die Gruppen des
Homo heidelbergensis
stellten sehr viel spezialisiertere Werkzeuge her, und vor allem begannen sie, besonders geformte Kernsteine herzustellen, präparierte Rohlinge, aus
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