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Wer regiert die Welt? – Warum Zivilisationen herrschen oder beherrscht werden

Wer regiert die Welt? – Warum Zivilisationen herrschen oder beherrscht werden

Titel: Wer regiert die Welt? – Warum Zivilisationen herrschen oder beherrscht werden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ian Morris
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bestimmt eine gewisse Form spirituellen Lebens kannten. Möglicherweise gab es unter ihnen Medizinfrauen und Schamanen wie Iza und Creb aus
Clan des Bären
. Wie dem auch sein mag: Könnte die Zeitmaschine, von der ich bereits sprach, einen von uns nach Shanidar und auch nach Zhoukoudian expedieren, wir würden wirkliche Unterschiede im Verhalten zwischen den Peking-Menschen im Osten und den Neandertalern im Westen beobachten können. Und nur mit einiger Mühe könnten wir uns vor dem Gedanken hüten, dass der Westen damals entwickelter war als der Osten. Dies könnte bereits 1,6 Millionen Jahre früher so gewesen sein, als sich die Movius-Linie herausbildete, 100   000 Jahre später war es unzweifelhaft so. Wieder hebt das Gespenst der rassistischen Theorie langfristiger Determiniertheit sein Haupt: Beherrscht der Westen die Welt, weil die heutigen Europäer als Erben von den genetisch überlegenen Neandertalern abstammen, die Asiaten dagegen vom primitiveren
Homo erectus
?
    Trippelschritte
    Nein, natürlich nicht. Historiker lieben es, auf einfache Fragen lange verwickelte Antworten zu geben, in diesem Fall aber liegen die Dinge klar auf der Hand. Die Europäer stammen nicht von den überlegenen Neandertalern ab, so wenig wie die |68| Asiaten vom minderwertigen
Homo erectus
. Vor rund 70   000 Jahren 1* begann eine neue Spezies der Gattung
Homo
– nämlich wir – aus Afrika herauszuwandern und alle anderen Formen zu verdrängen. 2* Unsere Art,
Homo sapiens
( »der weise Mensch«), machte reinen Tisch: Wir heutigen Menschen sind alle Afrikaner. Die Evolution hat sich natürlich fortgesetzt, und lokale Variationen in Hautfarbe, Gesichtskontur, Größe, Laktosetoleranz und 1000 anderen Dingen haben sich in den 2000 Generationen herausgebildet, seitdem wir uns über den gesamten Globus verteilt haben. Bei Licht besehen sind alle diese Unterschiede trivial. Wo immer man hingeht, was immer man tut: Die Menschen (in großen Gruppen betrachtet) sind doch überall weitgehend gleich.
    Die Evolution unserer Spezies und deren Eroberung des Planeten sind der Grund für die biologische Einheit der Menschheit und bilden insofern auch den Ausgangspunkt aller Erklärungen, warum der Westen die Welt regiert. Diese biologische Einheitlichkeit schließt alle rassistischen bzw. auf Rassenbegriffen basierenden Theorien aus. Doch so bedeutsam diese Prozesse auch sein mögen, vieles von den Ursprüngen der modernen Menschen bleibt im Dunkel. In den 1980er Jahren haben Archäologen herausgefunden, dass die ersten Skelette, die den unseren mehr oder weniger gleichen, rund 150   000 Jahre alt sind – geborgen an ost- und südafrikanischen Fundstellen. Die neue Spezies hatte flachere Gesichter als frühere Affenmenschen; Gesichter, deren untere Partien nicht mehr so weit über die Stirn hervorsprangen. Sie nutzten ihre Zähne seltener als Werkzeuge, hatten längere und muskulösere Gliedmaßen, weitere Neuralkanäle, und ihr Kehlkopf saß an einer zum Sprechen geeigneteren Stelle. Die Schädelhöhlung für ihr Gehirn war etwas kleiner als bei den Neandertalern, dennoch war das Schädeldach höher und gewölbter und ließ so Raum für größere Sprech- und Sprachzentren sowie für mehr übereinander liegende Neuronenschichten, die darum enorm viele Operationen parallel ausführen konnten.
    An den Skeletten lässt sich ablesen, dass schon der früheste
Homo sapiens
sich in dem Gang fortbewegen konnte, in dem auch wir gehen. Merkwürdigerweise aber behauptete die Archäologie,
Homo sapiens
habe sich über 100   000 Jahre geweigert, auch so zu sprechen wie wir. Werkzeuge und Handlungsweisen von
Homo sapiens
scheinen denen älterer Affenmenschen weitgehend ähnlich zu sein, |69| und der frühe
Homo sapiens
kannte – wiederum wie ältere Affenmenschen und ganz anders als wir – offenbar jeweils nur eine Art, Dinge zu erledigen. Egal wo in Afrika die Archäologen gruben, stets förderten sie die gleichen, nicht sonderlich aufregenden Funde zutage. Es sei denn, sie gruben an Stätten, an denen
Homo sapiens
vor weniger als 50   000 Jahren gelebt hat. An solch jüngeren Stätten nämlich begann
Homo sapiens
allerhand interessante Dinge zu tun, und das auf viele verschiedene Weisen. Werkzeuge in nicht weniger als sechs eindeutig unterscheidbaren Stilen haben Archäologen registriert, die zwischen 50   000 und 25   000 v. u. Z. im Nil-Tal in Gebrauch waren. In den Zeiten davor war von Südafrika bis an die Mittelmeerküsten ein einziger Stil

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