Wer regiert die Welt? – Warum Zivilisationen herrschen oder beherrscht werden
Waffen des 20. Jahrhunderts ebenso gründlich veralten lassen wie einst Panzer die Kavallerie. Etwas wie der »Krieg der Sterne«, der |567| Raketenabwehrschirm, an dem amerikanische Wissenschaftler seit den 1980er Jahren arbeiten, wird realisiert werden. Roboter werden das Kämpfen und Zerstören in Cyberkriegen übernehmen. Die Nanotechnologie wird es ermöglichen, altbekannte Materialien zu undurchdringlichen Panzern oder zu mörderischen Waffen zu machen. Und alle neuen Angriffswaffen werden ebenso ausgeklügelte Abwehrtechniken nach sich ziehen.
Am wenigsten vorstellbar aber werden die Veränderungen der Informationstechniken sein, zu denen es der Abbildung 12.1 zufolge kommen wird. Das 20. Jahrhundert hat uns von primitiven Funkgeräten und Telefonapparaten zum Internet geführt. Das 21. Jahrhundert dagegen wird, und das ist sicher nicht zu weit hergeholt, den Menschen in den entwickelten Kerngebieten die sofortige und unbegrenzte Abrufbarkeit aller Informationen verschaffen, die in der Welt vorhanden sind. Ihre Gehirne werden vernetzt sein, vielleicht einen gigantischen Computer bilden, dessen Rechenkapazität billionenfach über der Summe aller Gehirne und Maschinen unserer Tage liegen wird.
Noch klingt das absurd. Städte mit 140 Millionen Menschen können nicht funktionieren. Es gibt einfach nicht genug Öl, Kohle, Gas und Uran in der Welt, um Milliarden Menschen täglich 1,3 Millionen Kilokalorien Energie zur Verfügung zu stellen. Nano-, Cyber- und Roboterkriege würden uns alle auslöschen. Und unsere Gehirne mit Maschinen zu verbinden – wir wären schlicht keine Menschen mehr.
Und das, denke ich, ist das eigentlich Beunruhigende, Bedeutsame an Abbildung 12.1.
Ich habe in diesem Buch zwei allgemeine Behauptungen aufgestellt. Die erste: Die Geschichte der gesellschaftlichen Entwicklung kann nur im Verbund biologischen, soziologischen und geographischen Wissens erklärt werden, wobei die Biologie erklärt,
was
die Entwicklung antreibt, die Soziologie,
wie
die Entwicklung steigt (oder eben nicht), und die Geographie,
warum
die Entwicklung in einer Region schneller steigt (oder fällt) als anderswo. Meine zweite Behauptung: Die geographischen Bedingungen entscheiden zwar über Anstieg oder Niedergang der gesellschaftlichen Entwicklung, umgekehrt aber bestimmt die gesellschaftliche Entwicklung Art und Umfang des Einflusses, den die geographischen Verhältnisse ausüben können. Ich möchte beide Behauptungen nun erweitern. Im 21. Jahrhundert verspricht – oder droht – die gesellschaftliche Entwicklung so hoch zu steigen, dass sie auch den Einfluss der natürlichen und sozialen Bedingungen verändern wird. Wir nähern uns der größten Diskontinuität der Geschichte.
Der Erfinder und Futurist Ray Kurzweil nennt dies Singularität: »eine zukünftige Epoche, in der das Tempo des technischen Wandels so gesteigert, seine Wirkung so tiefgreifend ist …, dass sich die Technik mit unendlicher Geschwindigkeit zu erweitern scheint« 14 . Eine seiner Begründungen findet er im Mooreschen Gesetz, der berühmten Beobachtung, die der Ingenieur (und spätere Vorsitzende von Intel) Gordon Moore 1965 gemacht hat, dass sich nämlich die Leistungsfähigkeit |568| der Computerchips mit deren Miniaturisierung jährlich verdoppelt, deren Herstellungskosten aber halbieren. Vor 40 Jahren haben gigantische Großrechner einige 100 000 Rechenoperationen pro Sekunde bewältigt und einige Millionen Dollar gekostet. Der kleine 1000-Dollar-Laptop, auf dem ich jetzt herumtippe, schafft einige Milliarden Operationen pro Sekunde – eine Steigerung des Preis-Leistungs-Verhältnisses ums Zehnmillionenfache, eine Verdopplung alle 18 Monate, ganz ähnlich wie von Moore vorausgesagt.
Setzt sich dieser Trend fort, dann, so Kurzweil, werden die Computer um 2030 so leistungsfähig sein, dass auf ihnen Programme laufen, die jene zehntausend Billionen elektrische Signale reproduzieren, die pro Sekunde zwischen den 22 Milliarden Neuronen im menschlichen Schädel hin und her gefeuert werden. Superrechner werden auch genug Kapazität haben, um die 10 Billionen Erinnerungen zu speichern, die ein Gehirn im Durchschnitt beherbergt. Zur gleichen Zeit wird die Scannertechnik genau genug arbeiten, um das menschliche Gehirn Neuron für Neuron kartographisch zu erfassen – woraus Technikfreaks schließen, dass man in der Lage sein wird, das menschliche Gehirn in Maschinen hochzuladen. Um 2045 etwa werden sie, wie Kurzweil ebenfalls erwartet, in
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