Wer regiert die Welt? – Warum Zivilisationen herrschen oder beherrscht werden
der Lage sein, als Host-Rechner für alle Gehirne der Welt zu fungieren und die kohlenstoff- und die silikonbasierte Intelligenz in einem weltumspannenden Bewusstsein zu verschmelzen. Damit wäre die technologische Singularität 2* erreicht. Wir werden die Beschränktheiten unserer biologischen Grundausstattung überwinden und zu neuen Wesen werden, zu Wesen, die
Homo sapiens
so weit voraus sind, wie ein heutiger Mensch den einzelnen Zellen voraus ist, die sich zu seinem Körper zusammengeschlossen haben.
Kurzweils visionärer Enthusiasmus hat ihm ebensoviel Spott wie Bewunderung eingetragen. Die Chancen, dass er sich – wie alle Propheten vor ihm – irrt, stehen höher als dafür, dass er Recht behält. Womit Kurzweil allerdings richtig liegt, ist, dass er sich gegen »Kritik durch Ungläubigkeit« 15 verwahrt. Die pure Skepsis, dass derart ungeheuerliche Entwicklungen eintreten könnten, ist tatsächlich kein Gegenargument. Entsprechend hat der Chemiker und Nobelpreisträger Richard Smalley verkündet: »Wenn Wissenschaftler etwas für möglich halten, unterschätzen sie wahrscheinlich, wie lange das dauern wird. Sagen sie jedoch, dass es unmöglich ist, liegen sie wahrscheinlich falsch.« 16 Wir unternehmen bereits kleine Schrittchen hin zu irgendeiner Art Singularität – zumindest nehmen Regierungen und Militärs diese Aussichten so ernst, dass sie mit entsprechenden Planungen begonnen haben.
Vielleicht können wir bereits erkennen, was einige dieser Schrittchen erbracht haben. Wie in Kapitel 10 gezeigt, wurde das, was es heißt, Mensch zu sein, von der |569| industriellen Revolution gründlicher verändert als vom Übergang zum Ackerbau. In großen Teilen der Welt ermöglicht es die bessere Ernährung den Menschen, doppelt so lange zu leben und im Durchschnitt 15 Zentimeter größer zu werden als ihre Ururgroßeltern. Nur noch wenige Frauen verbringen heute mehr als einen kleinen Abschnitt ihres Lebens damit, Kinder auszutragen und aufzuziehen; auch ist, im Vergleich zu früheren Zeiten, die Kindersterblichkeit deutlich gesunken. In den reichsten Ländern vollbringen Mediziner geradezu Wunder – sie erhalten unser Aussehen jung (2008 wurden in den USA fünf Millionen Botox-Behandlungen durchgeführt), sie regulieren unsere Stimmung (einer von zehn Amerikanern hat Antidepressiva genommen), sie können, vom Meniskus bis zur Erektion, alle möglichen Körperteile und -zustände stabilisieren (2005 haben amerikanische Ärzte 17 Millionen Rezepte für Potenzmittel wie Viagra, Cialis und Levitra ausgestellt). Die alternden Kaiser der Antike dürften diese kleinen blauen Pillen mindestens so wunderbar gefunden haben wie die heutigen Nerds Kurzweils Singularität.
Die Genforschung des 21. Jahrhunderts verspricht, die Menschheit noch weiter zu verändern, indem sich gentechnisch Kopierfehler in unseren Zellen korrigieren oder neue Organe wachsen lassen werden, wenn uns die im Stich lassen, mit denen wir geboren wurden. Einige Wissenschaftler sprechen davon, dass wir uns der »teilweisen Unsterblichkeit« nähern. Warum aber sollte man sich damit bescheiden zu reparieren, was kaputtging? Mancher erinnert sich vielleicht an die TV-Serie
Der Sechs-Millionen-Dollar-Mann
, in deren erster Folge ein Pilot namens Steve Austin (gespielt von Lee Majors) bei einem Absturz einen Arm, ein Auge und beide Beine verlor. »Wir können ihn nachbauen, wir haben die Technik«, sagt eine Stimme aus dem Off, und bald taucht Austin wieder auf: als bionischer Mann, der schneller rennt, als Autos fahren, einen Geigerzähler im Arm hat und eine Zoomlinse im Auge, schließlich sogar eine bionische Freundin (Lindsay Wagner). 17
Nur 30 Jahre später sind einige unserer Sportler tatsächlich bionisch geworden. Als der Golfprofi Tiger Woods am Auge operiert werden musste, ließ er sich die Sehkraft auf »besser als vollkommen« hochrüsten, und 2008 schloss der Weltleichtathletikverband den südafrikanischen Sprinter Oscar Pistorius vorübergehend von der Olympiade aus, weil dieser mit seinen zwei High-Tech-Unterschenkel-Fuß-Prothesen Vorteile gegenüber Läufern habe, die auf ihren eigenen Beinen laufen müssten. 3*
In den 2020er Jahren könnten Menschen mittleren Alters in den entwickelten Kerngebieten weiter sehen, schneller laufen und besser aussehen, als sie dies als Kinder taten. Aber um wie viel adleräugiger, flinker, schöner wird erst die nachfolgende |570| Generation sein! Genetische Untersuchungen geben Eltern die Möglichkeit,
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