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Wer regiert die Welt? – Warum Zivilisationen herrschen oder beherrscht werden

Wer regiert die Welt? – Warum Zivilisationen herrschen oder beherrscht werden

Titel: Wer regiert die Welt? – Warum Zivilisationen herrschen oder beherrscht werden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ian Morris
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vorherrschend.
    Die Menschen hatten Stile entwickelt. An der Art, in der Steinwerkzeuge zurechtgeschlagen wurden, lässt sich eine Gruppe signifikant von ihren Nachbarn unterscheiden; und wenn die Abschläge auf eine dritte Weise entstanden waren, dann kann sich darin eine neue Generation in ihrem Unterschied zu ihren Vorfahren zeigen. Der Wandel vollzog sich lange Zeit unendlich langsam – zumindest nach Maßstäben, die wir gewohnt sind. Uns erscheint ja schon ein Handy wie ein Fossil, mit dem wir keine Fotos aufnehmen können, das uns nicht unseren Standort auf einer Karte zeigt und uns keine E-Mails lesen lässt. Von nun an jedoch und verglichen mit den riesigen Zeiträumen zuvor vollzog sich der Wandel geradezu kometenhaft.
    Wie uns jeder Teenager bestätigen wird, der mit grün gefärbten Haaren oder mit einem neuen Piercing im Elternhaus auftaucht, gibt es keinen besseren Weg, sich selbst darzustellen, als sich zu schmücken. Doch allem Anschein nach hat das bis vor 50   000 Jahren niemand so gesehen. Und plötzlich taten es alle. Fundstätte um Fundstätte, die jünger ist als 50   000 Jahre v. u. Z., lieferte den Archäologen mit Ornamenten verzierte Knochen, Tierzähne und Elfenbein – und das zeigt ja nur die Tätigkeiten, die in haltbaren Materialien Niederschlag fanden und deshalb von uns ausgegraben werden können. Wahrscheinlich sind so gut wie alle anderen Formen persönlichen Schmucks, die auch wir kennen – Haartracht, Schminke, Tätowierungen, Kleidung –, etwa um die gleiche Zeit aufgetaucht. Eine genetische Studie kam zu dem ziemlich kribbligen Ergebnis, dass sich vor etwa 50   000 Jahren auch Körperläuse, die von unserem Blut leben, entwickelt haben – als kleiner Bonus für die ersten Fashionistas.
    »Welch ein Meisterwerk ist der Mensch!«, keucht Hamlet, als seine Freunde Rosenkranz und Güldenstern kommen, ihn auszuspähen. »Wie edel durch Vernunft! Wie unbegrenzt an Fähigkeiten! In Gestalt und Bewegung wie bedeutend und wunderwürdig! Im Handeln wie ähnlich einem Engel! Im Begreifen wie ähnlich einem Gott!« 7 Und wie unähnlich doch einem Affenmenschen. Menschen um 50   000 v. u. Z. dachten und handelten auf einer ganz anderen Ebene als ihre Vorfahren. Dazwischen muss etwas ganz Außerordentliches stattgefunden haben – etwas so Tiefgreifendes, Magisches, dass es normalerweise eher nüchterne Wissenschaftler in den 1990er Jahren zu rhetorischen Höhenflügen animiert hat. |70| Manche sprachen von einem »Großen Sprung nach vorn« 3* , andere von der Morgendämmerung der menschlichen Kultur, ja sogar vom Big Bang, dem Urknall des menschlichen Bewusstseins.
    So dramatisch sie sein mögen, alle diese Theorien vom Großen Sprung behalten stets etwas Unbefriedigendes. Denn wir dürfen uns nicht nur eine, sondern müssen uns zwei Transformationen vorstellen, deren erste (vor etwa 150   000 Jahren) zum Körperbau des modernen Menschen führte, aber nicht zu einem anderen Gebaren, während die zweite (vor etwa 50   000 Jahren) die Handlungsweisen des modernen Menschen hervorbrachte, unseren Köperbau jedoch unverändert ließ. Die von den meisten anerkannte Erklärung läuft darauf hinaus, dass die zweite Transformation – der Große Sprung – mit rein neurologischen Veränderungen begonnen habe, in deren Verlauf das Gehirn neu geschaltet wurde. Das habe es den Menschen ermöglicht, auf moderne Art zu sprechen, und das wiederum habe zur Revolution des Verhaltens geführt. Ein Rätsel jedoch blieb, worin diese Neuschaltung eigentlich bestanden haben soll (und warum sich nicht gleichzeitig auch an der Schädelform etwas geändert hat).
    Wenn überhaupt irgendwo, dann hat die Evolutionswissenschaft genau hier Raum gelassen für eine übernatürliche Intervention, für irgendeine höhere Macht, die mit ihrem Atem einen Funken Göttlichkeit in den dumpfen Lehm der Affenmenschen gepustet hat. Als ich (erheblich) jünger war, hat mir die Episode besonders gefallen, mit der Arthur C. Clarke seinen Roman
2001
beginnen lässt, der parallel zum Drehbuch für Stanley Kubricks unvergesslichen, wenn auch schwer nachvollziehbaren Film
2001: Odyssee im Weltraum
entstand. (Beider Ausgangspunkt war Clarkes Kurzgeschichte
Der Wachposten
.) Mysteriöse kristalline Monolithen gelangen aus weit entfernten Räumen des Alls auf die Erde, gerade rechtzeitig, um die Affenmenschen unseres Planeten vor der Vernichtung durch Hunger zu bewahren. Nacht um Nacht, während ein Monolith ihm Visionen sendet und

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