Wer regiert die Welt? – Warum Zivilisationen herrschen oder beherrscht werden
Werte stets über diesen zwei Punkten, denn es sind mitnichten die Nahrungsmittel, in denen der größte Anteil der verbrauchten Energie steckt. Wie wir in Kapitel 1 gesehen haben, hat
Homo erectus
vermutlich bereits in Zhoukoudian, also vor fünf Millionen Jahren, zum Kochen Holz verbrannt; sicher ist, dass die Neandertaler dies vor 100 000 Jahren taten, zudem trugen sie Tierhäute. Weil wir über die Lebensweisen der Neandertaler nur wenig wissen, können unsere Schätzungen nicht sehr genau sein, doch indem diese Frühmenschen Energiequellen nicht nur über die Nahrung anzapften, haben sie mit Sicherheit im Durchschnitt darüber hinaus täglich weitere 1000 und mehr Kilokalorien verbraucht, was ihnen insgesamt um die 3,25 Punkte einträgt. Ihre anatomisch modernen Zeitgenossen kochten mehr als Neandertaler, trugen mehr Kleidung und bauten sich auch Behausungen aus Holz, Laub, Mammutknochen und Häuten – all das Produkte der chemischen Energie, in die die Pflanzen die elektromagnetische Energie der Sonne umgewandelt hatten. Selbst die technisch unentwickeltsten Sammler und Jäger des 20. Jahrhunderts vereinnahmen alles in allem mindestens 3500 Kilokalorien pro Tag. Angesichts des kälteren Klimas müssen ihre historisch viel älteren Vorfahren am Ende der Eiszeit im Durchschnitt näher an 4000 Kilokalorien täglich gelegen haben, was mindestens 4,25 Punkten entspricht.
Ich denke, ein Archäologe wird an solchen Schätzungen nicht viel auszusetzen haben. Doch die Lücke, die zwischen den 4,25 Punkten eines eiszeitlichen Jägers und den 250 unserer westlichen, Strom und Benzin fressenden Zeitgenossen klafft, ist gewaltig. Was ist in der Zwischenzeit geschehen? Wenn wir das Wissen zusammentragen, das sich Archäologen, Historiker, Anthropologen und Ökologen je auf ihre Weise angeeignet haben, dann können wir der Antwort auf diese Frage vielleicht doch ziemlich nahekommen.
Bereits 1971 baten Redakteure des
Scientific American
den Geowissenschaftler Earl Cook um einen Beitrag über den Energiefluss in einer Industriegesellschaft. Er fügte seinem Aufsatz ein auf zuverlässigen Schätzungen basierendes Diagramm bei, das seither häufig wiederabgedruckt wurde. Es zeigt den Energieverbrauch von Jäger-Sammlern, frühen Ackerbauern (womit er die Bauern in Südwestasien um 5000 v. u. Z. meinte, denen wir in Kapitel 2 begegnet sind), fortgeschrittenen |160| Bauern (Nordwesteuropäer um 1400 u. Z.), Angehörigen klassischer Industriegesellschaften (Westeuropäer um 1860) und denen »technologisierter Gesellschaften« Ende des 20. Jahrhunderts – jeweils aufgeteilt in vier Kategorien: Nahrung (einschließlich des Schlachttierfutters), Haushalt und Gewerbe, Industrie und Landwirtschaft, Verkehr und Transport (Abbildung 3.1).
Cooks Schätzungen haben sich als bemerkenswert treffend erwiesen, obwohl seitdem nahezu 40 Jahre vergangen sind, in denen Historiker, Anthropologen, Archäologen und Wirtschaftswissenschaftler weitere Erkenntnisse gewonnen haben. 3* Sie bieten natürlich nur einen Anhaltspunkt, doch anhand der detaillierten Zeugnisse aus allen Geschichtsperioden im Westen wie im Osten können wir doch sehr gut sagen, wie weit sich die Gesellschaften der Gegenwart von diesen Parametern entfernt haben. Für die letzten Jahrhunderte können wir dabei auf Textquellen zurückgreifen, für die meisten Epochen zuvor jedoch sind wir vor allem auf archäologische Funde angewiesen.
Manchmal kommt Hilfe aus ganz unerwarteten Richtungen. Die Eiskernbohrungen aus Grönland, die schon in Kapitel 1 und 2 eine Rolle gespielt haben, zeigen auch, dass die Luftverschmutzung in den letzten Jahrhunderten vor der Zeitenwende um das Siebenfache gestiegen ist, vor allem wegen des Bergbaus der Römer in Spanien. Dieser Befund ist in den letzten zehn Jahren durch Untersuchungen von Sedimenten aus Torfmooren und Seen bestätigt worden. Die Europäer produzierten im 1. Jahrhundert u. Z. neun- bis zehnmal mehr Kupfer und Silber als im 13. Jahrhundert – einschließlich all der Energie, die Mensch und Tier dazu verbrauchten: beim Graben der Minen und Stollen, beim Fortschaffen des Abraums, beim Bau von Straßen und Häfen, beim Be- und Entladen der Schiffe, beim Transport der Metalle in die Städte, beim Bau und Betrieb der Mühlen und Hammerwerke, die das Erz zerkleinerten. Vor allem zählt dabei natürlich das Holz, mit dem die Stollen ausgebaut sowie Schmelzöfen und Essen befeuert wurden. Eiskerne und Sedimentproben ermöglichen es uns
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