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Wer schlafende Hunde weckt

Wer schlafende Hunde weckt

Titel: Wer schlafende Hunde weckt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christopher Brookmyre
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einem Traum. Sie konnte sich einfach nicht beruhigen und hatte auch keine Möglichkeit, sich abzulenken. Ohne Jims Anweisungen hatte sie nichts zu tun, nichts, was sie alleine hätte erledigen können, während sie auf einen Anruf oder seine Schritte auf der Treppe wartete.
    Zu ihrer Einsamkeit kam noch die Bürde, die Einzige zu sein, die ahnte, dass etwas passiert war, aber sie wollte Jims Familie auch nicht unnötig beunruhigen. Vielleicht gab es eine einfache Erklärung, die sie übersehen hatte, irgendeine Nachricht, die nicht weitergeleitet worden war. Ihr Vorsatz hielt bis Mittag, als sie einen Anruf von Harry Deacon bei Galt Linklater bekam. Jim war nicht, wie vereinbart, um elf vorbeigekommen, um einen neuen Auftrag zu besprechen. Das war genauso ein eindeutiges Zeichen wie die Dateien auf dem PC . Von Galt Linklater bekam Jim die meisten seiner Aufträge, und keine neue Spur, keine stille Beschattung, eigentlich überhaupt kein Aspekt seines Berufsalltags würde ihn dazu bringen, so einen Termin ausfallen zu lassen, ohne vorher abzusagen.
    Jasmine rief ihre Cousine Angela an, Jims älteste Tochter, die noch am ehesten über Jims Arbeit Bescheid wusste. Sie fragte nach Jim, ohne ihre Sorge durchscheinen zu lassen, und schob ihre eigene Verwirrtheit und Desorganisation vor.
    Angela hatte zuletzt am vorigen Wochenende mit ihrem Vater gesprochen. Sie wirkte nicht weiter besorgt, aber andererseits war Angela es wohl aus ihrer Kindheit gewohnt, dass er nicht immer da war, wenn er es eigentlich sein sollte.
    Als Jasmine aufgelegt hatte und wieder der unendlichen Stille ausgesetzt war, hielt sie diesen Schwebezustand nicht mehr aus. Sie musste irgendetwas tun, die Zügel in die Hand nehmen und die Hilflosigkeit durchbrechen.

    Sie fuhr mit dem Auto nach Hyndland. Im Frühnachmittagsverkehr brauchte sie nur zwanzig Minuten zu Jims Wohnung und fand auch ungewohnt schnell einen Parkplatz.
    Als sie den Motor abstellte und sich die Haustür ansah, wurde ihr flau im Magen. Sie hatte bildlich vor Augen, was sich als Nächstes abspielen würde. Sie würde in den zweiten Stock gehen, klingeln, keine Antwort bekommen und dann durch den Briefschlitz schauen. Dann würde sie ihn sehen, vielleicht auch nur einen Arm oder ein Bein, reglos, tot auf dem Teppich. Damit würde sie nicht fertig werden. Sie hatte gesehen, wie Mum Stück für Stück aus dem normalen Leben in eine Existenz am Tropf und Monitor abglitt. Sie war noch warm, als Jasmine sie zum letzten Mal berührte. Das tröstete sie immer noch. Wenn Jim schon seit Tagen dalag, würde sie bestimmt nicht damit klarkommen. Irgendwer musste aber nachsehen, und sie hielt die Ungewissheit nicht mehr aus.
    Sie schloss die Autotür, bemerkte wieder die vielen freien Parkplätze und verstand, dass es hier nichts zu sehen gab. Sie würde Jim weder tot noch lebendig in der Wohnung finden, weil sein Auto nicht da war. Sie ging die ganze Straße ab und zusätzlich noch hundert Meter die Seitenstraßen entlang, falls er zu einer anderen Uhrzeit nach Hause gekommen war und keinen Parkplatz vor der Tür gefunden hatte, aber sein Peugeot war nirgends zu sehen. Dankbar beschloss sie, doch kurz zur Wohnung hochzugehen, falls es dort doch irgendwelche Hinweise gab.
    Sie kam sich ein bisschen blöd vor, als sie klingelte, obwohl sie ziemlich sicher wusste, dass sie keine Antwort bekommen würde, aber sie fühlte sich dazu verpflichtet, als wäre es ein alter religiöser Ritus, dessen Ursprung selbst die Gläubigen schon vergessen hatten. Die Klingel wirkte sehr laut, aber vielleicht bildete sie sich nur ein, wie das Geräusch von den Wänden der stillen Wohnung widerhallte. Andererseits fehlten die Alltagsgeräusche des Bewohners als Vergleich. Man merktees einfach, wenn man klingelte und niemand zu Hause war, man nahm die Leere hinter der Tür wahr. Croft hatte sie sicher auch bemerkt. Er hatte nicht angerufen, weil er vielleicht meinte, sie sei in der Dusche oder höre zu laut Radio. Er hatte gewusst, dass niemand da war.
    Ohne große Angst, was sie entdecken könnte, schob Jasmine den Briefschlitz auf. Beruhigen konnte der Anblick sie aber auch nicht. Sie sah einen Haufen Post und zwei Zeitungen. Um besser sehen zu können, was direkt an der Tür lag, hielt sie ihren Taschenspiegel in den Schlitz. Eine dritte Ausgabe der Evening Times lehnte innen an der Tür. Drei Zeitungen, seit Jim zum letzten Mal zu Hause gewesen war. Sie wusste nicht, ob an diesem Tag schon der Zeitungsjunge gekommen

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