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Wer schlafende Hunde weckt

Wer schlafende Hunde weckt

Titel: Wer schlafende Hunde weckt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christopher Brookmyre
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sie. »Mein Onkel … Es gab einen Notfall, und ich musste herkommen, da hab ich Sie ganz vergessen.«
    Crofts Stimme klang jetzt nicht mehr gereizt, sondern besorgt.
    »Ist alles okay?«
    »Das weiß ich noch nicht«, antwortete sie ehrlich.
    »Na ja, machen Sie sich wegen mir keine Gedanken. Melden Sie sich einfach irgendwann wegen ’nem neuen Termin. Es bleibt doch dabei, oder?«, fragte er und dachte offensichtlich an den Tausend-Pfund-Köder, mit dem sie ihn gelockt hatte.

    »Ja. Ich rufe Sie in ein paar Tagen an. Tut mir wirklich leid.«
    »Kein Problem. Ich hoffe, alles wird gut und so.«
    »Danke«, erwiderte sie und legte auf.
    Er hatte es gefressen, worauf sie sich nichts weiter einbildete, weil sie kaum geschauspielert hatte. Die bebende Stimme, die unsicheren Entschuldigungen, das wahre Gefühl, dass etwas Unerwartetes passiert war. Alles echt.
    Dass Jasmine nicht mehr an Croft gedacht hatte, war normal, aber Jim selbst hätte nie im Leben vergessen, ihm aufzulauern. Außer natürlich, bei ihm hatte sich etwas Unerwartetes ergeben, vielleicht bei einer anderen, wichtigeren Ermittlung. Vielleicht war es das: Bei der Sache, an der er die letzten Tage gearbeitet hatte, gab es neue Entwicklungen, und er hatte beschlossen, dass Hayden   –   Murray die Aufnahme der Terminvereinbarung mit Croft ausreichen würde.
    Sie hielt immer noch das Handy in der linken Hand und drückte auf die Kurzwahltaste für Jim. Es tutete ein paar Sekunden und hörte dann gerade so lange auf, dass sie schon freudig seine Stimme erwartete. Leider ging es nach einer kurzen Pause begleitet vom Klingeln des Bürotelefons weiter, das Jasmine gerade abnehmen wollte, als sie verstand, dass sie doch nur mit sich selbst sprechen würde. Jims Handy hatte eine Weiterleitung hierher geschaltet.
    Vielleicht war er gerade bei einer Beschattung. Im Lieferwagen war oft absolute Ruhe nötig. Wenn die Zielperson vorbeiging oder draußen im Garten war, sollte sie natürlich besser nicht mitbekommen, dass in dem Transporter mit den getönten Scheiben ein Privatdetektiv mit Videokamera saß. Hatte sie den Wagen draußen gesehen, als sie hergekommen war? Sie wusste es nicht mehr.
    Sie ging in den Flur und sah durch das Fenster an der Hintertreppe. Jims Wagen stand an seinem Stammplatz. Scheiße.
    Als sie wieder im Büro war, erschlug sie die Leere, die ungewohnte Stille. Langsam verstand sie, was ihr von Anfang ankomisch vorgekommen war. Sie war nicht zum ersten Mal alleine hier. Sie hatte gelegentlich am Telefon gewartet und war ab und zu von Jim hergeschickt worden, um Ausrüstung oder Dokumente abzuholen (wahrscheinlich, damit er sie ein paar Stunden los war und sich beruhigen oder das richten konnte, was Jasmine verbockt hatte). Das Büro hatte aber nie gewirkt wie jetzt. Irgendetwas war anders. Sie spürte nicht nur, dass sie alleine war, sondern unterbewusst merkte sie auch, dass sie seit Tagen die Erste im Büro war.
    Immer, wenn man an einen Ort zurückkehrt, gibt es kleine Veränderungen, die man instinktiv als Zeichen wahrnimmt, dass in der Zwischenzeit jemand dort war. Das Gehirn gleicht im Unterbewusstsein den neuen Zustand mit dem alten ab. Klare Anzeichen sind z.   B. verrückte Möbel oder gespülte Teetassen; unauffälliger wäre, welcher Ordner auf dem Tisch offen liegt oder welche Zeitung im Papierkorb steckt; selbst der veränderte Füllstand des Wasserkochers kann ausreichen. Wie bei der Rückkehr in ihre Wohnung in der Victoria Road nach ihrer Zeit bei Mum war sie an diesem Morgen im Büro mit dem absoluten Stillstand konfrontiert worden. Nichts hatte sich geändert.
    Zwar hatte Jim sie eigentlich angestellt, um gegen seine Workaholic-Gewohnheiten anzugehen, doch kam er fast jedes Wochenende ein paar Stunden ins Büro. Als sie sich kurz umsah, fiel ihr auf, dass der Papierkorb nicht geleert war. Die letzte Zeitung war von Mittwoch.
    Während der Computer hochfuhr, sah sie die Akten und Zettel auf dem Schreibtisch durch. Wie in seinen Jahrzehnten als Polizist notierte er zu allem Tag und Uhrzeit. Seit Donnerstag war nichts Neues dazugekommen. Möglicherweise war er nicht mehr hier gewesen, seit er sie bei der Croft-Beschattung im West End allein gelassen hatte.
    Sie ließ eine Dateisuche nach Datum laufen. Seit Donnerstagmorgen war auf keine Dateien zugegriffen worden. Diekalte, eindeutige Gewissheit der digitalen Daten erschütterte sie.
    Die Zeit verging langsam, jede Minute zog sich in die Länge wie ein unendlicher Flur in

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