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Wer schlafende Hunde weckt

Wer schlafende Hunde weckt

Titel: Wer schlafende Hunde weckt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christopher Brookmyre
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um zu wissen, was fehlt oder was die suchen könnten.«
    Sie sah sich den Schreibtisch mit den Akten an, die sie fein säuberlich aufgestapelt hatte. Der stand zwar noch da, aber eins fiel ihr sofort auf.
    »Die Glen-Fallan-Akte fehlt. Die war oben, weil ich mir die Adressen rausgeschrieben hab. Ansonsten weiß ich nicht.«
    »Was ist mit dem Computer?«, fragte Ingrams.
    Jasmine schaltete den PC an und spürte ein erwartungsvolles Kribbeln. Sie konnte sich die zuletzt aufgerufenen Dateien auflisten lassen, dann hätten sie endlich eine handfeste Spur.
    Die Maschine piepste ungewöhnlich altmodisch. Jasmine schaute auf den Bildschirm, der größtenteils schwarz geblieben war und nur ein paar Zeilen weißen Text zeigte. In der untersten stand: »Please insert boot disk.«
    »Scheiße«, sagte Ingrams.
    »Was bedeutet das?«, fragte sie.
    »Die haben die Festplatte formatiert. Alles gelöscht. Keiner soll wissen, worum es hier geht.«
    »Wir haben zum Glück ein Back-up. Wir können zwar nicht sehen, worauf sie zugegriffen haben, aber die Daten selbst können wir wiederherstellen.«
    »Immerhin. Haben Sie den FTP – Login?«
    »Den was?«
    »Egal. Wenn Sie Jims E-Mail-Adresse und den Host kennen, können wir …«
    Jasmine sah ihn verlegen an. Sie hatte keine Ahnung, wovon er redete.
    »Ach nichts«, sagte er geduldig. »Wo wollten Sie denn noch nachforschen? Auf der Fahrt meinten Sie, Jim hätte gleichzeitig noch an einem anderen Fall gearbeitet.«
    »Anne Ramsay. Aber der Polizist, der hier war, meinte, das wär ’ne Sackgasse. Eine arme Frau, deren Eltern und Bruder vor einem Vierteljahrhundert verschwunden sind. Und wir kommen da sowieso nicht weiter: Wir haben keine Kontaktdaten. Ich hab die Akte nicht, und die Dateien fehlen.«
    »Haben die die Akte auch mitgenommen?«
    »Nein, die fehlte vorher schon. Jim muss sie wohl mitgenommen haben. Ach, halt, ich hab doch ihre Telefonnummer. Die müsste im Telefon gespeichert sein. Anne Ramsay hat angerufen und nach Jim gefragt. Er hatte ihr wohl gesagt, dass er Anfang der Woche Neuigkeiten für sie hätte. McDade meinte, Jim wollte ihr nur behutsam beibringen, dass die Sache keinen Sinn hat. Er hat gesagt, Jim wusste sicher, dass es nicht richtig wäre, Geld von ihr anzunehmen.«
    »Aber warum sollte Jim die Akte mitnehmen, wenn er ihr doch nur sagen wollte, dass es keinen Sinn hat? Er hatte bestimmt eine Spur. Und wenn man jemandem absagt, kündigt man doch nicht Tage vorher großartig irgendwas an, damit er sich Hoffnungen macht. Da müssen wir mal nachhaken.«
    Jasmine sah sich wieder den Monitor an, auf dem der Cursor in Erwartung einer Bootplatte blinkte.
    Blink. Blink. Blink.
    Sie dachte an andere blinkende weiße Punkte auf schwarzen Bildschirmen, an Monitore und Warnsysteme, und das Unausweichliche ließ sie schließlich zusammenbrechen. Sie merkte, dass sie es schon seit Stunden verdrängte, dass sie sich mit anderen Dingen ablenkte, aber jetzt ging es nicht mehr. Sie bekam feuchte Augen, und die Tränen fingen an zu fließen.
    »Was ist denn?«, fragte Ingrams mit sanfter, unaufdringlicher Stimme, als ginge es ihn eigentlich nichts an.
    »Jim«, sagte sie mit zitternder Stimme. »Jim ist nicht nur mein Chef, sondern auch mein Onkel. Na ja, der Cousin meiner Mutter. Das alles: der Angriff, der Einbruch, die gelöschte Festplatte. Das heißt, er ist tot, oder?«
    Sie starrte aus Jims Stuhl zu ihm hinauf und suchte in seinem Gesicht nach einer Antwort. Ingrams schwieg, denn es gab für ihn nichts zu sagen. Sie verstand, dass er es schon lange gewusst hatte, wahrscheinlich seit dem Moment, als die Schrotflinte die Autofenster zerschossen hatte.
    Sie beugte sich nach vorne, stützte den Kopf in die Hände und versuchte, ihr Schluchzen vor diesem relativ fremden Mann zu verbergen, doch die Trauer übermannte sie, als sie die Wahrheit akzeptierte. Ihr war kalt und sie war schrecklich einsam. So eine Nachricht sollte sie doch von jemandem hören, der ihr nahestand, der sie in den Arm nehmen konnte.Stattdessen hatte sie aus den Umständen schließen müssen, dass sie ihn verloren hatte. Ein Verlust auf Abstand: Sie akzeptierte, dass Jim tot war, wahrscheinlich schon seit Tagen.
    Alle Befürchtungen waren wahr geworden, die ihre instinktive Angst im Büro am Montagmorgen mit sich gebracht hatte. In der letzten Zeit wurden wohl alle ihre schlimmsten Ängste wahr. Ja, es ist Krebs. Ja, er breitet sich aus. Nein, wir können nichts machen. Ja, nur noch ein paar

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