Wer schlafende Hunde weckt
Monate.
Ja, heute Abend geht es wohl zu Ende. Ja, jetzt ist sie weg.
Ja, Jim ist auch tot.
Ingrams schwieg und blieb ein Stück weit entfernt stehen. Sie wusste nicht, ob sie ihn dafür hasste, dass er in gleichgültiger Stille dastand, oder dankbar war, dass er auf Distanz blieb und sie in Ruhe ließ.
»Wer sind Sie?«, fragte Jasmine in einem heiseren Flüstern.
»Wir müssen uns überlegen, wo wir Sie heute Abend unterbringen«, erwiderte er. »Wenn die hier waren, wissen sie wahrscheinlich auch, wo Sie wohnen. Zu Hause sind Sie nicht mehr sicher.«
Jasmine bekam das schwindelerregende Gefühl, dass die Ereignisse sie überrumpelten, als würde sie im Treibgut einer Flut mitgerissen. Außer an Ingrams konnte sie sich an nichts mehr festklammern, und ihn kannte sie kaum.
»Ich brauch mein Handyladegerät«, war der einzige sinnvolle Gedanke, der es an die Oberfläche schaffte, während ihr Kopf versuchte, wieder alles unter Kontrolle zu bringen.
»Wir kaufen Ihnen morgen früh ein neues. Erst mal brauchen wir ein Hotel.«
»Ich hab kein Geld«, erklärte sie verlegen.
»Ich aber.«
»Warum helfen Sie mir?«
»Wenn ich’s nicht mache, tritt Rita mir in den Arsch«, erwiderte er.
Sie nahm die Erklärung hin, denn sie war gerade nicht in der Lage nachzuhaken, aber sie beide wussten, dass das Unsinn war.
Zuerst fuhren sie zu einem großen Vierundzwanzig-Stunden-Supermarkt, kauften für sie Zahnbürste, Waschzeug und frische Klamotten, dann buchte Ingrams zwei Zimmer in einem Hotel am Clyde, einem großen, businessmäßig gesichtslosen Gebäude, in dem man wunderbar untertauchen konnte.
Auf seinen nachdrücklichen Rat hin bestellte sie sich etwas vom Room Service. Sie hatte eigentlich keinen Hunger, verschlang aber schließlich doch ein Club Sandwich, denn sie hatte den ganzen Tag kaum etwas gegessen. Als sie fertig war, wurde sie wie von einem Netz der Müdigkeit aufs Bett gezogen.
Sie konnte aber nicht gleich schlafen. Erst kamen wieder die Tränen. Jetzt war sie endlich allein und konnte unbeobachtet alles herauslassen.
Sie weinte wegen Jim, und weil sein Verlust sie ein Echo des Todes ihrer Mutter spüren ließ. Doch irgendwo tief in ihrem Schmerz und ihrer Trauer glomm ein winziges Fünkchen Hoffnung, weil Jims Verlust nicht mehr ganz so wehtat. Nie wieder konnte etwas so sehr wehtun.
Explosive Informationen
Catherine und Laura trafen sich mit Bob Cairns in einem Imbiss auf der Robertson Street abseits der Broomielaw am Clyde-Ufer. Es war ein altmodischer Laden, der gar nicht daran dachte, seine fettige Tradition zu verraten. Diese Lokale fand man fast nur noch in kleinen Seitenstraßen, was ihnen etwas Verruchtes gab. Nicht, dass der Verzehr gesättigter Fettsäuren hierzulande Gefahr lief, außer Mode zu kommen – er war nur ein schmutziges, kleines Geheimnis geworden, das die Stadt nicht mehr an die große Glocke hängte.
Bob saß in einer Nische, deren PVC – Polster so von Kratzern, Narben und Nähten übersät waren, dass sie wie die Gesichter der Glasgower Unterwelt aussahen. Catherine meinte beim Hereinkommen erst, sie könne Zigarettenrauch riechen, aber das war wohl doch nur eine unwillkürliche Assoziation – oder aber selbst die Jahre seit dem Rauchverbot hatten nicht gereicht, um den Laden ausdünsten zu lassen. Irgendwie war es beruhigend, dass es solche Lokale noch gab, und umso besser, wenn dann noch ein Polizist wie Bob Cairns darin saß. Man wusste, dass die Männer mit Gesichtern, die diesen Polstern glichen, da draußen waren, also brauchte man Männer aus Bobs Generation und mit seinem Ethos, um das Ganze irgendwie im Gleichgewicht zu halten.
Mit Latte light und Blaubeermuffins brauchte man Bob nicht zu kommen. Andererseits fraß er sich auch nicht aufeinen Herzinfarkt zu: Vollkornbrötchen ohne Butter, gegrillter Speck, Grilltomate und braune Sauce. Für knapp sechzig war er wirklich fit, auch wenn heutzutage auf jeden Fall mehr von ihm da war als früher. Catherine hatte auch gehört, dass er gestern nicht zur Arbeit gekommen sei, was eigentlich noch nie vorgekommen war. Bei den überzuverlässigen Kerlen wie ihm machte man sich immer ein bisschen mehr Sorgen, wenn sie mal krank waren.
Heute sah man ihm aber nichts weiter an. Er hatte sein Handy auf dem Tisch neben einem dampfenden Becher schwarzen Tee liegen und wirkte angespannt und ein bisschen unruhig, während er sein Frühstück in sich hineinschaufelte. Catherine kannte diesen Blick: Ein Polizist, der
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