Wer schlafende Hunde weckt
draußen zu bleiben, damit die Frauen sich nicht auf ihren Zimmern verstecken mussten. Rita war höflich, fast ein wenig mitfühlend, aber Jasmine hörte die Härte zwischen den versöhnlichen Tönen und erinnerte sich an Ingrams’ Warnung, sie solle ja nicht glauben, dass sie in Rita eine Verbündete gefunden habe. Ingrams verschwand ein paar Minuten mit Rita im Haus, wo er wohl ein paar Dinge erklärte und sicher ein paar andere verschwieg.
Jasmine beschrieb ihm die Lage auf der Fahrt nach Norden und streckte das Wenige, was sie wusste, bis ins kleinste Detail über so viele Kilometer wie möglich. Danach quatschte sie einfach munter weiter über sich selbst, weil sie die Stille sonst nicht aushielt. Sie erwischte sich dabei, wie sie ihm persönliche, fast schon unangemessene Dinge erzählte: die Geschichte mit ihrer Mutter und wie sie zu ihrem Job bei Jim gekommen war.
Ingrams hatte anscheinend kein Problem damit zu schweigen, aber es störte ihn wohl auch nicht weiter, wenn sie redete, und ab und zu hakte er kurz nach und ließ sie dann weiterplappern. Mit Informationen über sich selbst wollte er sie allerdings nicht erfreuen. Ab und zu versuchte sie aber ihr Glück und hoffte, es wäre vielleicht schon eine Verbindung zwischen ihnen entstanden oder sie könnte ihn überrumpeln.
»Sie sind aus Glasgow?«
»Ursprünglich. Lange her.«
»Kannten Sie diesen Glen Fallan? Haben Sie schon mal von ihm gehört?«
»Nein.«
Ingrams kletterte aus dem Honda und streckte sich. Neben dem flachen Auto wirkte er noch größer. Er schlurfte auf den Lieferwagen zu, reckte den Hals und schüttelte Arme und Beine aus. Dann lehnte er sich vor und schaute durch ein zerbrochenes Fenster.
»Ein diskreter, unauffälliger Ermittlungswagen«, sagte er. »Woher wussten die, dass es seiner ist?«
»Vielleicht wussten sie es gar nicht. Aber er steht jetzt fast eine Woche hier herum.«
»Fällt Ihnen irgendetwas auf, was fehlt?«
»Jim lässt eigentlich nie was drinnen. Die Kamera nimmt er immer mit, wenn sie nicht in Betrieb ist.«
»Ich weiß ja nicht, was die suchen, aber sie geben sich Mühe.«
Jasmine schloss die Hintertür des Bürogebäudes auf und hielt sie Ingrams offen. Er ging mit vorsichtigen, überraschend leisen Schritten hinein, und sie kam zu dem besorgniserregenden Schluss, dass die Leute, die in den Wagen eingebrochen waren, noch im Büro sein konnten.
Sie stiegen leise die Treppe hinauf. Jasmine rechnete damit, dass Ingrams jeden Moment eine Waffe zog und musste sich eingestehen, dass sie enttäuscht war, als er es nicht tat. Warum hatte sie ihm bloß verboten, eine mitzubringen? Und warum hatte er sich nicht einfach durchgesetzt und ihr gesagt, sie solle nicht so blöd sein?
Zu ihrer großen Erleichterung war die Bürotür abgeschlossen. Jasmine wollte gerade den Schlüssel ins Loch stecken, als Ingrams sie zurückhielt. Er hockte sich hin und untersuchte das Schloss.
»Kratzspuren«, sagte er. »Frische. Das hat vor Kurzem einer geknackt. Die waren hier.«
»Warum sollten die das Schloss knacken? Warum nicht einfach die Tür eintreten, wie sie das Fenster vom Wagen eingeschlagen haben?«
»Sie sollten jetzt eigentlich schon tot sein. Einen Einbruch an Ihrem Arbeitsplatz würde die Polizei in Tyneside sofort mit Ihrem Mord in Verbindung bringen. Wenn ein unauffälliger Wagen nach ein paar Tagen ausgeräumt wird, ist das lange nicht so eine große Sache.«
»Tja, aber womit sollen sie den Angriff sonst in Verbindung bringen? Vielleicht war ich ja in Ihrem Wagen einfach nur zur falschen Zeit am falschen Ort. Was uns wieder zu der Frage bringt, wie man bloß auf die Idee kommen kann, dass einer, der Pistolen im Auto hat, eher angegriffen wird als andere.«
»Kein Kommentar.«
Jasmine schloss die Tür auf und schaltete das Licht an. Es gab keine offensichtlichen Anzeichen eines Einbruchs, und sie spürte auch nicht, dass jemand hier gewesen war, wie sie am Montag gespürt hatte, dass niemand da gewesen war. Das Büro sah mehr oder weniger genauso aus, wie sie es zurückgelassen hatte, was sie darüber nachdenken ließ, wie man frische Kratzspuren überhaupt von unschuldigen alten unterscheiden konnte, die von schlecht gezielten Schlüsseln stammten. Vielleicht war ja gar keiner eingebrochen, und der Wagen war nur irgendeinem Gelegenheitsdieb zum Opfer gefallen.
»Was haben sie mitgenommen?«, fragte Ingrams, während Jasmine sich umsah.
»Ehrlich gesagt kenne ich mich hier noch nicht gut genug aus,
Weitere Kostenlose Bücher