Wer schön sein will, muss sterben
neue Freunde hättest, würde es vielleicht deinen Schmerz lindern. Ich wollte dir zu verstehen geben, dass du nicht bei mir bleiben und dich um mich kümmern musst.« Meine Mutter sank in einen Stuhl, den Kopf in die Hände gestützt. Joe legte den Arm um sie. »Mein Gott, ihre Eltern.«
Ich schluckte, versuchte, die Tränen zurückzuhalten. »Ich möchte sie anrufen. Es ihnen sagen.«
Meine Mutter sah auf. »Nein, Liebling, das werde ich tun. Du musst dich jetzt darauf konzentrieren, wieder gesund zu werden. Das wäre zu hart für dich.«
»Etwas Schweres zu tun wird mir helfen, gesund zu werden.« Ich war schon zu lange Zuschauer meines eigenen Lebens gewesen, hatte alles nur mit Autofokus wahrgenommen.
Joe hatte die ganze Zeit nur ruhig dagesessen und zugehört. Jetzt kam er zu mir und stellte sich neben mein Bett. Sein Gesicht war starr, fast zornig. »Das, was du gerade getan hast, war sehr tapfer, Jane. Und ein tapferes Angebot. Ich bin beeindruckt.«
Er streckte mir seine Hand entgegen. Ich streckte die Hand aus. Wir gaben sie einander. Ich spürte noch mehr Tränen kommen.
»Gut. Ich denke, wir sind uns einig, dass ich jetzt deine Mutter und Schwester nach Hause bringen sollte.«
Ich sah meine Mutter an. Sie sah mitgenommen aus, angeschlagen. Und alt.
»Danke«, sagte ich mit ehrlicher Dankbarkeit. »Danke, Joe.«
Sie verließen das Zimmer. Sie hatte den Arm um seine Taille gelegt, er seinen um ihre Schultern.
Annie kam zu mir und küsste mich auf die Wange. »Ich fand es auch tapfer. Ich hab die beste große Schwester auf der Welt.«
»Ich hab die beste kleine Schwester«, flüsterte ich. Tränen standen in meinen Augen.
»Was für einen Willkommenskuchen willst du haben?«, fragte sie.
»Ich weiß nicht. Was meinst du?«
»Eiskremtorte.«
»Das hört sich großartig an.«
Sie ging, und ich war allein.
Ich wartete, bis ich hörte, wie sich die Fahrstuhltüren öffneten und schlossen, bevor ich hinüberlangte und auf den Zeh des Robert-Frost-Hundes drückte.
Die Stimme meines Vaters erklang, tief und angenehm, und hüllte mich angenehm ein.
»Zwei Straßen trennten sich im fahlen Wald …«
Ich weinte.
Als die Tränen versiegt waren, war ich erschöpft und döste ein. Als ich kurz wach war, meinte ich zu sehen, wie jemand ins Zimmer spähte, aber es musste ein Traum gewesen sein, denn es blieb still.
Das Telefon klingelte. »Hallo.« Ich antwortete noch halb im Traum. Ich blickte zur Uhr und sah, dass es zehn vor zehn war. »Scott?«
Aber es war nicht Scotts Stimme, die sagte: »Gute Nacht, Jane.«
Jetzt war ich wach. Hellwach und alarmiert, und diesmal war ich mir absolut sicher, in Bezug auf das, was ich hörte. Dachte ich. »Hör auf, mich anzurufen. Du bist kein Freund, du bist ein Mörder.«
»Ich weiß nur, dass du einer bist, aber was bin ich?«
»Wovon sprichst du?«
»Du verletzt jeden, der dich gernhat, stimmt’s, Jane?«
»Nein, das stimmt nicht.«
»Du mit deinen Geheimnissen und Lügen. Jeder ist nur eine Schachfigur in deinem Spiel.«
Ein Schauer durchlief mich. Dies musste ein realer Telefonanruf sein. Er existierte nicht nur in meinem Kopf. Denn ich glaubte nicht, was er sagte. »So bin ich nicht.«
Oder doch?
Eine Diashow von Gesichtern schoss mir durch den Kopf. Bonnie. Meine Mutter. Kate.
Nein!
Ich konnte es nicht mehr ertragen. »Es wird Zeit, dass das hier endlich aufhört«, sagte ich wütend.
»Der Meinung bin ich auch. Bis morgen. Süße Träume.« Die Verbindung wurde unterbrochen.
Ich hyperventilierte und hielt den Robert-Frost-Hund fest umklammert, als mein Vater das Gedicht vorlas …
Bis morgen.
Es würde bald zu Ende sein, ob der Killer nun innerhalb oder außerhalb meines Kopfes existierte.
Montag
Neunundzwanzigstes Kapitel
D
er Steg ragte weit über die glatte Wasseroberfläche des dunklen Sees. Die gelb gefärbten Bäume umrahmten ihn wie Zähne. Die abgenutzten Bretter unter meinen Füßen waren heiß und uneben, Splitter stachen mich. Meine Zehen brannten.
»Worauf wartest du, Jane?« Die hübsche Betreuerin des Camps schwamm einen Meter von mir entfernt im Wasser. »Komm rein, es ist schön.«
Ich sprang. Zuerst fühlte sich das Wasser wunderbar an, kühl und einladend. Die Pflanzen, vor denen Bonnie mich gewarnt hatte, berührten mich nur sanft, wie freundliche Zungen, die mich streichelten, mich begrüßten. Ich drehte mich und schwamm zum Schwimmfloß in der Mitte des Sees.
Die Zungen wurden wilder, weniger sanft. Jetzt
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