Wer schön sein will, muss sterben
mich an.
Ich nickte. Wie konnte ich an etwas anderes denken als an seine Küsse?
»Ich ruf dich an, und wir gehen aus.«
Das tat er. Wir gingen fast jeden Abend aus bis zum Ende meines neunten Schuljahres. Unter seinen Fittichen wurde ich beliebt. Ich hatte alles, was ich mir gewünscht hatte.
Bonnies Selbstmord schockierte alle. »Wie … Warum? Jane, warum hätte sie sich das Leben nehmen wollen?«, flehte ihre Mutter mich um Antworten an.
»Ich weiß es nicht.«
»Eine verdammte Party …« Ihr Vater ging in der Küche auf und ab, grub mit jedem Schritt neue Spuren in den gelben Linoleumboden. »Bonnie ist in ihrem ganzen Leben zu keiner Party gegangen.«
»Was waren das für Leute, mit denen sie zusammen war?«, wollte ihre Mutter wissen. »Ich weiß, dass ihr Mädchen euch in letzter Zeit nicht mehr so gut verstanden habt, aber wer waren sie? Warum wollte sie mit ihnen zusammen sein?«
Ihr Vater fuhr sich immer wieder mit der Hand durchs Haar, bis es teilweise zu Berge stand. »Sie hat gesagt, sie würde zu dir gehen. Warum hätte sie uns anlügen sollen? Warum?«
»Ich hab das Gefühl, als hätte ich sie gar nicht mehr gekannt, meine eigene Tochter«, schluchzte ihre Mutter. »Es tut mir leid, Jane, ich weiß, das muss auch für dich schwer sein.«
Ich war wie betäubt. Ich verdrängte den Schmerz und die Verwirrung und entschied mich zu glauben, was Liam mir erzählt hatte und was ich allen erzählte. Aus mir wurde das Mädchen, das nicht auf der Party gewesen war, das Mädchen, das mit Liam Marsh ging. Das Mädchen, das beliebt war. Die alle mochten. Das Mädchen, das die Wahrheit über Bonnie vergaß.
Ich tauschte meine beste Freundin gegen ein paar Küsse und einen Platz am beliebten Mittagstisch ein. Denn nachdem mein Dad gestorben war, hatte ich zu große Angst davor gehabt, allein gelassen zu werden. Ich begriff nicht, dass ich überhaupt nicht allein war. Ich hatte Bonnie, meine Mom und Annie. Und mich.
Ich war ein Feigling gewesen. Aber jetzt war Schluss damit.
»Bonnie hat nicht Selbstmord begangen«, wiederholte ich in meinem Krankenhauszimmer vor meiner Mutter und Joe und Annie.
»Wovon redest du, Jane?«
»Ich war auch auf der Party. Bonnie saß nicht allein mit ihrem Buch in der Ecke, wie sie sagten. Sie hatte was mit Mark Ellis. Ich glaube, er hat ihr etwas gegeben, irgendeine Droge. Ich hab versucht, sie aufzuhalten, aber sie wollte nicht hören. Er muss ihr zu viel gegeben haben. Sie hat eine Überdosis genommen, aber nicht mit Absicht, das weiß ich, nicht mit Absicht. Sie ist im Whirlpool gestorben, und die anderen auf der Party müssen sie hinterher bewegt haben. Ich hab sie gesehen, da im Wasser. Sie sah … friedlich aus. Wie eine Prinzessin.« Ich rang nach Luft, als das Wort
Prinzessin
aus meinem Mund kam. Eine tote Prinzessin. Wieso war mir nicht klar gewesen, was ich all die Jahre fotografiert hatte? »Ich hab versucht, sie aufzuhalten, aber sie hat nicht auf mich gehört. Sie hat mich geohrfeigt und zu mir gesagt, ich soll ihr aus dem Weg gehen. Ich hab versucht, sie aufzuhalten, wirklich, aber …« Tränen liefen mir übers Gesicht.
»Jane, was sagst du da?«, wollte meine Mutter wissen. »Du warst nicht auf der Party. Du warst zu Hause. Im Bett.«
»Ich hab mich weggeschlichen. Da hab ich auch Liam getroffen. Und …« Es wurde Zeit, dass ich es mir und allen anderen eingestand. »Ich glaube, er ist nur mit mir gegangen, damit ich den Mund hielt. Wenn man geküsst wird, kann man nicht reden.«
Meine Mutter stand da, erstarrt. »All die Jahre, die ganze Zeit. Warum hast du es niemandem erzählt?«
»Ich wusste nichts Genaues. Ich hatte nur eine Ahnung. Und es schien unwichtig, ob sie versucht hatte, sich zu töten, oder ob sie zufällig eine Überdosis genommen hatte. Sie wäre trotzdem tot.«
»Das ist ein großer Unterschied.« Meine Mutter hatte die Hände geballt. »Ein gewaltiger Unterschied.«
»Das weiß ich jetzt«, sagte ich kläglich. Bonnie war wichtig. Ihre Eltern waren wichtig. Und die Tatsache, dass jemand mit Mord davongekommen war, war definitiv wichtig. »Ich hätte es dir auf der Beerdigung beinahe erzählt. Aber dann kam Liam herüber, und du hast mir erlaubt, mit ihm zu gehen. Wie hätte ich es dir danach noch sagen sollen? Du schienst so glücklich, mich los zu sein.«
»Dich los zu sein? Liebling, ich wollte doch nur, dass du glücklich bist. Ich wusste, was Bonnie dir bedeutet, ihr beide wart unzertrennlich gewesen. Ich dachte, wenn du
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